BAG, Probezeiten

BAG kippt 25-Prozent-Regel bei Probezeiten: Was HR-Abteilungen jetzt wissen müssen

24.11.2025 - 01:29:12

Zwei wegweisende Urteile des Bundesarbeitsgerichts zwingen Unternehmen zum Umdenken bei befristeten Verträgen. Die weit verbreitete 25-Prozent-Faustformel für Probezeiten ist Geschichte – doch die Alternative fordert penible Dokumentation.

Rechtsexperten und Personalabteilungen stehen zu Wochenbeginn vor einer Neujustierung ihrer Vertragspraxis. Das BAG hat in gleich zwei Grundsatzentscheidungen die Spielregeln für Befristungen und Probezeiten fundamental verändert. Während starre mathematische Grenzen für Probezeiten vom Tisch sind, verschärft das Gericht gleichzeitig die Kontrolle diskriminierender Tarifklauseln.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung analysierte am vergangenen Samstag die praktischen Folgen dieser Urteile, die zwar bereits Ende Oktober und Mitte November verkündet wurden, deren volle Tragweite der Wirtschaft aber erst jetzt bewusst wird.

Die wohl folgenreichste Entscheidung betrifft eine jahrelang praktizierte Faustregel: Viele Arbeitsgerichte und HR-Abteilungen gingen davon aus, dass eine Probezeit in befristeten Verträgen maximal 25 Prozent der Gesamtlaufzeit betragen dürfe. Das BAG hat diese Annahme nun ausdrücklich verworfen.

Anzeige

Passend zum Thema Vertragsgestaltung: Veraltete oder unzureichend dokumentierte Probezeitklauseln können Arbeitgeber teuer zu stehen kommen. Das kostenlose E‑Book “Der Arbeitsvertrag” erklärt, wie Sie Befristungen und Probezeiten rechtssicher formulieren, liefert 19 geprüfte Musterformulierungen und gibt konkrete Formulierungsvorschläge für Einarbeitungspläne als Beweismittel. Ideal für Personaler, die ihre Vorlagen noch diese Woche anpassen wollen. Kostenloses Arbeitsvertrag‑E‑Book herunterladen

Im Verfahren 2 AZR 160/24 vom 30. Oktober 2025 ging es um eine Kundenberaterin mit einem Jahresvertrag, der eine viermonatige Probezeit vorsah. Nach einer Kündigung während der Probezeit klagte die Arbeitnehmerin – und bekam zunächst Recht. Das LAG Berlin-Brandenburg hatte die 25-Prozent-Formel angewandt und die Probezeitklausel für unwirksam erklärt.

Die Angemessenheitsprüfung im Detail

Die Erfurter Richter korrigierten diese Sichtweise grundlegend. Die in § 15 Abs. 3 TzBfG geforderte “Angemessenheit” lasse sich nicht mit dem Taschenrechner ermitteln. Stattdessen komme es auf eine Einzelfallprüfung an, die folgende Faktoren berücksichtigt:

Art der Tätigkeit: Komplexe Positionen rechtfertigen längere Erprobungsphasen.

Realistische Einarbeitung: Der entscheidende Punkt im konkreten Fall war ein detaillierter Einarbeitungsplan des Arbeitgebers über drei Phasen und 16 Wochen. Das Gericht akzeptierte dies als valide Begründung für vier Monate Probezeit – selbst bei nur zwölf Monaten Vertragslaufzeit.

Was bedeutet das für die Praxis? Eine standardisierte Klausel könnte scheitern, während ein spezifischer Einarbeitungsplan dieselbe Probezeitdauer rechtfertigt. Die Dokumentation wird zum Dreh- und Angelpunkt.

Sofortige Gleichstellung: Tarifklauseln bieten keinen Schutz mehr

Während das Probezeiturteil Spielräume eröffnet, zieht die zweite Grundsatzentscheidung vom 13. November 2025 (6 AZR 131/25) die Daumenschrauben bei diskriminierenden Tarifverträgen an.

Der Fall drehte sich um eine Tarifklausel, die Stufenaufstiege beim Gehalt an ununterbrochene Betriebszugehörigkeit knüpfte. Problematisch: Bei Wiedereinstellungen wurde die Betriebszugehörigkeitsuhr auf null gestellt – vorherige befristete Beschäftigungszeiten zählten nicht. Ein Paketzusteller klagte gegen diese Praxis und berief sich auf das Benachteiligungsverbot für befristet Beschäftigte (§ 4 Abs. 2 TzBfG).

Die “Sofortreparatur”-Doktrin des BAG

Das Bundesarbeitsgericht gab dem Kläger Recht und etablierte einen harten neuen Standard. Es gibt keine “Korrekturschonfrist” für Tarifpartner, wenn EU-rechtliche Diskriminierungsverbote verletzt werden.

Die Konsequenz: Unternehmen können sich nicht hinter Tarifvertragstexten verstecken. Benachteiligt eine Klausel offensichtlich befristet Beschäftigte ohne sachlichen Grund, drohen unmittelbar “Aufwärts-Gleichstellungs”-Ansprüche.

Dokumentation wird zur Pflichtübung

Die juristische Fachwelt reagierte am Wochenende mit vorsichtiger Neubewertung. “Die Annahme, sechs Monate Probezeit seien Standard, ist gefährlich für befristete Verträge. Aber auch die Annahme, 25 Prozent seien die Grenze, ist nun falsch”, analysierten Rechtsexperten am Samstag.

Die Beweislast verlagert sich auf die interne Dokumentation. Personalabteilungen sollten diese Woche ihre Einarbeitungsprotokolle überprüfen. Erfordert eine Position vier Monate Einarbeitung, sind vier Monate Probezeit selbst bei einem Sechsmonatsvertrag zulässig – wenn die Lernkurve dokumentiert ist.

Umgekehrt bleiben lange Probezeiten bei einfachen Tätigkeiten angreifbar. Für Jobs, die nur wenige Tage Einarbeitung erfordern, ist das Urteil kein Freifahrtschein.

Handlungsbedarf für 2026

Für die Vorbereitung auf das Geschäftsjahr 2026 ergeben sich konkrete Aufgaben:

Vertragsvorlagen überarbeiten: Weg von automatischen “Sechs-Monate-Standards” bei Befristungen. Die Probezeitdauer muss zur tatsächlich benötigten Einarbeitungszeit passen.

Wiedereinstellungen prüfen: Lohnbuchhaltungssysteme sollten auf Mitarbeiter durchsucht werden, die von befristeter zu unbefristeter Beschäftigung wechselten. Deren Betriebszugehörigkeit für Vergütungsstufen und Sozialleistungen muss die initiale Befristungsphase einschließen – unabhängig von Tarifklauseln zu “Unterbrechungen”.

Einarbeitungspläne erstellen: HR-Abteilungen sollten mit Fachabteilungen schriftliche Onboarding-Zeitpläne für Schlüsselpositionen entwickeln. Diese Dokumente sind nun potenzielle Beweismittel zur Rechtfertigung von Probezeitlängen.

Was kommt als Nächstes?

Rechtsbeobachter erwarten eine Welle von “Korrektur-Klagen” bezüglich Tarifklassifizierungen in Branchen mit hohem Befristungsanteil – etwa Logistik und Einzelhandel. Gewerkschaften dürften das November-Urteil zudem nutzen, um in anstehenden Tarifverhandlungen sofortige Neuverhandlungen von Betriebszugehörigkeitsklauseln zu fordern.

Die Botschaft des BAG ist eindeutig: Flexibilität bei der Probezeitgestaltung gibt es nur gegen detaillierte Nachweispflicht. Und Tarifverträge schützen nicht mehr vor Diskriminierungsvorwürfen – die Verantwortung liegt beim einzelnen Arbeitgeber.

Anzeige

PS: Für die Umstellung 2026 sollten Sie direkt mit rechtssicheren Vorlagen starten. Holen Sie sich jetzt 19 sofort einsetzbare Musterformulierungen, Praxis‑Checklisten und Tipps zur Dokumentation von Einarbeitungsplänen – bewährt bei HR‑Profis. So vermeiden Sie Formfehler bei befristeten Verträgen und schaffen belastbare Nachweise bei Probezeiten. Jetzt Muster‑Formulierungen für Arbeitsverträge herunterladen

@ boerse-global.de