Arbeitszeitgesetz: Wirtschaft drängt auf rasche Reform
27.11.2025 - 18:41:12Die Bundesregierung steht unter Druck: Heute forderte der Bundesverband der Dienstleistungswirtschaft (BDWi) ultimativ die Umsetzung der versprochenen Arbeitszeit-Reform. Kanzler Friedrich Merz (CDU) hatte Entlastung versprochen – doch die Umsetzung lässt auf sich warten.
Die geplante Novelle des Arbeitszeitgesetzes könnte die bedeutendste Änderung im deutschen Arbeitsrecht seit Jahrzehnten werden. Im Kern geht es um eine fundamentale Weichenstellung: Weg von der täglichen Höchstarbeitszeit, hin zu einem Wochendurchschnitt. Was Unternehmen als überfällige Modernisierung feiern, alarmiert Gewerkschaften und Arbeitsmediziner gleichermaßen.
Die Kontroverse entzündet sich an Paragraf 3 des Arbeitszeitgesetzes. Bislang gilt: maximal acht Stunden täglich, in Ausnahmefällen zehn – sofern der Durchschnitt über sechs Monate nicht überschritten wird.
Die schwarz-rote Koalition will dieses starre Korsett sprengen. Stattdessen soll eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 48 Stunden zum Maßstab werden. Konkret: Zwölf-Stunden-Schichten wären damit legal, solange die Wochengrenze eingehalten wird.
„Die Realität einer digitalisierten Wirtschaft verlangt nach Flexibilität”, begründet ein Regierungssprecher den Vorstoß. Unternehmen könnten so Auftragsspitzen besser abfedern, Beschäftigte ihre Arbeitswoche selbstbestimmt verdichten.
Doch der Bundestag zögert. Bereits am 17. Oktober lehnte das Parlament einen Antrag der Linken ab, der jegliche Aufweichung verhindern sollte. In der hitzigen Debatte prallten Welten aufeinander: Die Regierung sprach vom „überholten Achtstunden-Korsett”, die Opposition warnte vor einer „Gefahr für die Gesundheit der Arbeitnehmer”.
Vertrauensarbeitszeit vor dem Aus?
Parallel zum Flexibilitätsstreit tobt eine zweite Schlacht: die Arbeitszeiterfassung. Seit dem wegweisenden Urteil des Bundesarbeitsgerichts im September 2022 herrscht Rechtsunsicherheit. Das Gericht hatte die lückenlose Dokumentation sämtlicher Arbeitszeiten zur Pflicht erklärt – ein Paukenschlag für die verbreitete Vertrauensarbeitszeit.
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Die Reform soll nun Klarheit schaffen, ohne das Vertrauensprinzip zu begraben. Geplant ist: elektronische Erfassung von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit bleibt Pflicht. Doch die Kontrolle dieser Zeiten soll beim Arbeitnehmer bleiben dürfen.
„Vertrauensarbeitszeit muss möglich bleiben”, heißt es im Koalitionsvertrag. Das Zauberwort lautet: Selbsterfassung statt Stechuhr. Arbeitnehmer dokumentieren ihre Zeiten eigenverantwortlich – ohne permanente Kontrolle durch den Arbeitgeber.
Einen ersten Schritt machte bereits das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz, das am 1. Januar 2025 in Kraft trat. Es erlaubte digitale Übermittlung und schaffte die Pflicht ab, das Arbeitszeitgesetz physisch im Betrieb auszuhängen.
Doch Experten von KPMG Law konstatieren: Trotz dieser Fortschritte bleibt die konkrete Umsetzung ein Flickenteppich aus Gerichtsurteilen und Übergangsregelungen. Verbindliche gesetzliche Klarheit? Fehlanzeige.
Wirtschaft gegen Gewerkschaften: Kampf um Tempo
In den vergangenen 72 Stunden hat sich der Ton verschärft. Der BDWi legte heute nach: „Wir brauchen ein Arbeitszeitgesetz, das 2025 entspricht, nicht 1994.” Die Dienstleistungsbranche sieht die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland gefährdet. Die aktuellen Dokumentationspflichten würden Produktivität ersticken.
Die Gegenseite formiert sich ebenso entschlossen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und das Hugo-Sinzheimer-Institut warnen eindringlich vor den gesundheitlichen Folgen. Studien belegen: Nach der achten Arbeitsstunde steigen Unfallrisiko und Gesundheitsgefährdung exponentiell an. Kritiker befürchten eine Welle von Burnout-Fällen, sollten Zwölf-Stunden-Schichten zur Normalität werden.
Die politische Gemengelage erschwert eine Einigung. Während die Große Koalition theoretisch über eine Mehrheit verfügt, bremsen unterschiedliche Interessenlagen: Die SPD steht den Gewerkschaften nahe, die CDU der Wirtschaft. Der im Juli 2025 gestartete „Dialog mit den Sozialpartnern” sollte vermitteln – die heutigen Stellungnahmen zeigen, wie tief der Graben bleibt.
Europäischer Druck und deutsches Zögern
Die Vorgeschichte erklärt die aktuelle Dringlichkeit. Bereits 2019 urteilte der Europäische Gerichtshof: Mitgliedstaaten müssen ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Messung der täglichen Arbeitszeit vorschreiben.
Deutschland reagierte jahrelang nicht. Das Bundesarbeitsgericht übernahm schließlich im September 2022 die Rolle des Gesetzgebers und leitete die Pflicht aus dem Arbeitsschutzgesetz ab – ein rechtlicher Notbehelf.
Seitdem wartet die Wirtschaft auf einen gesetzlichen Rahmen, der EuGH-Vorgaben und moderne „New Work”-Konzepte vereint. Ein Entwurf des Arbeitsministeriums vom April 2023 verschwand in der Schublade. Jetzt forciert die Merz-Regierung einen neuen, aggressiveren Anlauf.
Ausblick: Was Unternehmen erwarten sollten
Mit dem Jahresende steigt der Druck auf die Bundesregierung. Analysten rechnen mit einer Gesetzesvorlage für den Bundestag Anfang 2026, die Umsetzung könnte Mitte 2026 erfolgen.
Für Personalabteilungen und Geschäftsführungen zeichnet sich unabhängig vom finalen Text folgendes ab:
Erstens: Die elektronische Zeiterfassung bleibt. Wer auf eine Rückkehr zur dokumentationsfreien Arbeit hofft, wird enttäuscht. Der Fokus sollte auf nahtlose digitale Lösungen liegen, die den Arbeitsfluss unterstützen statt zu behindern.
Zweitens: Bei Einführung des Wochenmodells verschiebt sich die Compliance-Überwachung von täglichen Alarmen zu wöchentlicher Volumensteuerung. Workforce-Management-Software muss angepasst werden.
Drittens: Vertrauensarbeitszeit wird neu definiert – von „keine Erfassung” zu „Selbsterfassung”. Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen müssen aktualisiert werden: Mitarbeiter werden darauf vertraut, ihre Zeit zu managen, müssen sie aber aus Schutzgründen dokumentieren.
Die kommenden Wochen werden entscheidend. Die Regierung muss den schmalen Grat zwischen wirtschaftlichen Deregulierungsforderungen und der Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten meistern. Der BDWi hat heute die Messlatte hochgelegt – jetzt muss Merz liefern.
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