Arbeitszeitgesetz, Normalfall

Arbeitszeitgesetz: 12-Stunden-Tag soll Normalfall werden

30.11.2025 - 23:39:12

Berlin – Die Bundesregierung plant einen fundamentalen Bruch mit dem deutschen Arbeitszeitrecht. Die starre Acht-Stunden-Grenze pro Tag soll fallen. An ihre Stelle tritt eine wöchentliche Höchstarbeitszeit – und damit die Möglichkeit, bis zu zwölf Stunden am Stück zu arbeiten. Gewerkschaften laufen Sturm gegen die Reform.

Seit Freitag ist es offiziell: Bundeskanzler Friedrich Merz treibt die umstrittenste Arbeitsrechtsreform der vergangenen Jahrzehnte voran. Der Gesetzentwurf zur “Modernisierung” des Arbeitszeitgesetzes liegt vor. Sein Kern: Die tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden (erweiterbar auf zehn) wird durch eine wöchentliche Obergrenze von 48 Stunden ersetzt.

Die Folge? Arbeitgeber könnten künftig Schichten von bis zu zwölf Stunden anordnen. Einzige Bedingung: Im Wochendurchschnitt darf die 48-Stunden-Marke nicht überschritten werden.

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“Die Acht-Stunden-Grenze stammt aus dem vergangenen Jahrhundert und passt nicht mehr zur Realität einer digitalen, globalisierten Wirtschaft”, rechtfertigte ein Sprecher des Arbeitsministeriums am Freitag den Vorstoß. “Wir erhöhen nicht die Gesamtarbeitszeit, sondern ermöglichen mehr Flexibilität bei der Verteilung.”

Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, die das Bundesarbeitsgericht 2022 festschrieb, bleibt bestehen. Im Gegenteil: Der Gesetzentwurf soll strenge digitale Standards für die elektronische Erfassung von Arbeitsbeginn, -ende und -dauer festschreiben.

Doch die Entkopplung der Erfassungspflicht von einer strikten Tagesgrenze verändert das System grundlegend. “Bisher dient die Zeiterfassung als Frühwarnsystem gegen Überschreitungen der Zehn-Stunden-Grenze”, erklärt Dr. Lena Weber, Arbeitsrechtsspezialistin aus Frankfurt. “Fällt die Tagesgrenze zugunsten einer Zwölf-Stunden-Option weg, müssen die Systeme umgestellt werden. Statt täglicher Kontrollen geht es dann um Wochendurchschnitte.”

Für Personalabteilungen bedeutet das: Ihre digitalen Zeiterfassungssysteme müssen künftig anders programmiert sein. Die Überwachung des Gesundheitsschutzes verschiebt sich von einer täglichen Prüfung auf eine längerfristige Durchschnittsberechnung.

Gewerkschaften: “Angriff auf die Gesundheit”

Die Reaktion der Arbeitnehmervertreter fiel heftig aus. Bereits am Samstag traten Verdi und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) vor die Presse. Ihre Warnung: Die Reform führe zu einer “gesundheitlichen Katastrophe” für deutsche Beschäftigte.

“Die Ausweitung des Arbeitstags auf zwölf Stunden ist ein Angriff auf die körperliche und psychische Unversehrtheit der Arbeitnehmer”, sagte ein hochrangiger DGB-Funktionär. “Jahrzehnte arbeitsmedizinischer Forschung zeigen: Nach der achten Arbeitsstunde steigen Unfallrisiko und Gesundheitsschäden exponentiell. Eine Zwölf-Stunden-Norm zu legalisieren heißt, Unternehmensflexibilität über Menschenschutz zu stellen.”

Besonders besorgt sind die Gewerkschaften über die angebliche “Freiwilligkeit” flexibler Arbeitszeitmodelle. In der Praxis, so die Befürchtung, werde der Druck von Vorgesetzten die vermeintliche Wahlfreiheit zur Farce machen. Vor allem in Logistik, Pflege und Unternehmensberatung – Branchen mit ohnehin langen Arbeitszeiten – drohe die Grenze zwischen Beruf und Privatleben vollends zu verschwinden.

Die Gewerkschaften kündigten Proteste in Berlin an, sollte der Entwurf in der jetzigen Form in den Bundestag eingebracht werden. “Wir akzeptieren keine Rückkehr zu Arbeitsbedingungen des 19. Jahrhunderts unter dem Deckmantel von ‘New Work'”, heißt es in einer Verdi-Erklärung.

Wirtschaft feiert “überfällige Wende”

Die Arbeitgeberverbände hingegen zeigen sich erfreut. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) lobte die Initiative am Freitag als “längst überfälligen Schritt” zur Wiederherstellung deutscher Wettbewerbsfähigkeit.

“In einer Welt, in der wir mit Märkten konkurrieren, die 24/7 arbeiten, können wir uns nicht von starren Neun-bis-Fünf-Regelungen fesseln lassen”, kommentierte ein BDA-Sprecher. “Diese Reform erlaubt es uns, Auftragsspitzen effizient zu bewältigen, ohne dass Arbeitgeber kriminalisiert werden, wenn ihr Team eine Langschicht einlegen muss, um ein kritisches Projekt abzuschließen.”

Befürworter argumentieren zudem, die Reform komme Beschäftigten zugute, die lieber an weniger Tagen länger arbeiten – etwa vier Zehn-Stunden-Tage für ein dreitägiges Wochenende. Das Modell der “komprimierten Arbeitswoche” erfreue sich in anderen europäischen Ländern wachsender Beliebtheit.

Ruhepausen und Ruhezeiten auf dem Prüfstand

Auch bei Pausen und Ruhezeiten drohen Einschnitte. Nach geltendem Recht sind nach sechs Stunden eine 30-minütige, nach neun Stunden eine 45-minütige Pause vorgeschrieben. Zwischen zwei Schichten müssen elf Stunden Ruhezeit liegen.

Während die Elf-Stunden-Regelung durch EU-Recht geschützt ist, sieht der Entwurf offenbar “Öffnungsklauseln” vor. Tarifverträge könnten demnach die Ruhezeit in Ausnahmefällen auf neun Stunden verkürzen – vorausgesetzt, es folgt später ein Ausgleich.

Diese potenzielle Aufweichung alarmiert Rechtswissenschaftler. “Die EU-Arbeitszeitrichtlinie ist bei der Elf-Stunden-Ruhezeit sehr strikt”, warnt Dr. Weber. “Jedes deutsche Gesetz, das dies ohne sehr spezifische, branchenbegrenzte Begründungen unterläuft, riskiert eine Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof.”

Showdown vor Weihnachten?

Die Bundesregierung strebt an, den endgültigen Gesetzentwurf noch vor der Weihnachtspause dem Bundestag vorzulegen. Anfang 2026 könnte die Reform in Kraft treten. Doch angesichts des erbitterten Widerstands der Gewerkschaften und möglicher Spannungen innerhalb der Koalition könnte sich der Zeitplan verzögern.

Für Unternehmen und Personalabteilungen ist die Botschaft klar: Die Methode der Zeiterfassung – elektronisch, objektiv, verlässlich – wird zum digitalen Standard. Doch die Regeln, die diese Zeit begrenzen, stehen vor der größten Umwälzung seit Jahrzehnten.

Die kommenden Wochen werden zeigen, wer sich durchsetzt: der Vorstoß der Regierung für mehr wirtschaftliche Dynamik oder die gewerkschaftliche Verteidigung etablierter Schutzrechte. Die Aufzeichnungspflicht steht fest. Doch die Definition eines “legalen Arbeitstags” könnte sich historisch ausweiten.

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