Arbeitsunrecht: Zwei Fälle erschüttern Deutschlands Betriebsratskultur
21.11.2025 - 06:30:12
Während Siemens Energy mit Mitbestimmung Rekordgewinne einfährt, spielen sich andernorts dramatische Szenen ab: Ein Geschäftsführer will seinen Betriebsratschef feuern, Deutschlands größter Flughafenbetreiber versinkt im Wahlchaos. Was ist los in deutschen Betrieben?
Die Gegensätze könnten kaum schärfer sein. Am 14. November meldete Siemens Energy stolz 236 Millionen Euro Quartalsgewinn – und lobte ausdrücklich die konstruktive Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern. Sechs Tage später erschütterten zwei Meldungen die deutsche Arbeitsrechtswelt: In Unna versucht ein Rettungsdienstchef, seinen Betriebsratsvorsitzenden loszuwerden. Am Frankfurter Flughafen hat ein Gericht die Betriebsratswahl gestoppt. Rund 16.000 Beschäftigte stehen ohne vollwertige Vertretung da.
Die schärfsten Vorwürfe kommen aus Unna. Peter Schroeter, Geschäftsführer der gemeinnützigen Reinoldus Rettungsdienst gGmbH, hat die Kündigung seines Betriebsratsvorsitzenden eingeleitet. Der rechtlich vorgeschriebene Schritt: Er bat das Gremium selbst um Zustimmung zur Entlassung. Die Antwort kam diese Woche – eine klare Absage.
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„Das ist kein Einzelfall, sondern der Höhepunkt einer systematischen Kampagne”, heißt es aus dem Umfeld der Arbeitnehmervertreter. Tatsächlich brodelt es beim Rettungsdienst seit Monaten. Im Frühjahr verließen bereits zwei weitere Betriebsratsmitglieder das Unternehmen – unter umstrittenen Umständen. Der Zeitpunkt? Verdächtig nah an der Gründung eines Wirtschaftsausschusses im Januar.
Die Beschäftigten schlugen Alarm bei Aufsichtsbehörden und Gerichten. Ihre Vorwürfe: Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz, intransparente Dienstpläne, unzumutbare Arbeitsbelastung. Die Geschäftsführung weist alles zurück und beteuert, sämtliche gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Doch der Versuch, ausgerechnet den obersten Arbeitnehmervertreter zu entfernen, löst bei Arbeitsrechtlern Entsetzen aus.
Fraport im Rechts-Labyrinth: Gewerkschaften im Clinch
Zeitgleich hat das Hessische Landesarbeitsgericht der Fraport AG einen herben Dämpfer verpasst. Die laufende Betriebsratswahl? Gestoppt. Die Vertretung der Belegschaft? Im Ungewissen. Der Flughafenbetreiber, der als kritischer Infrastrukturknotenpunkt Europas gilt, steht plötzlich ohne handlungsfähige Arbeitnehmervertretung da.
Hinter dem Chaos steckt ein erbitterter Machtkampf zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und dem konservativen Beamtenbund Komba. Die Wahl 2024 hatte Komba haushoch gewonnen: 31 von 39 Sitzen. Ver.di blieb mit vier Mandaten abgeschlagen zurück. Doch dann kamen Manipulationsvorwürfe auf.
Das gewählte Gremium trat zurück und agiert seitdem nur noch geschäftsführend. Bei der Neuwahl schloss der Komba-dominierte Wahlvorstand die ver.di-Liste kurzerhand aus. Ver.di klagte erfolgreich – doch die Liste tauchte in den Wahlunterlagen nicht rechtzeitig auf. Das Gericht zog die Notbremse.
Die Folge? Rund 16.000 Beschäftigte haben keine vollwertige Interessenvertretung, während die Luftfahrtbranche vor neuen operativen Herausforderungen steht. Eine Blamage für eines der Aushängeschilder deutscher Infrastruktur.
Richterspruch höhlt Kündigungsschutz aus
Beide Konflikte spielen sich vor dem Hintergrund einer folgenreichen Rechtsprechung ab. Am 18. Juni fällte das Bundesarbeitsgericht ein Urteil, das Gewerkschaften als „Hintertür für Union Busting” kritisieren: Befristete Arbeitsverträge von Betriebsräten können auslaufen – auch während der Amtszeit.
„Ein wirksam befristeter Arbeitsvertrag bleibt zulässig, selbst wenn der Beschäftigte während seiner Laufzeit in den Betriebsrat gewählt wird”, stellten die Erfurter Richter klar. Kritiker warnen: Arbeitgeber können missliebige Vertreter einfach „aussitzen”. Der besondere Kündigungsschutz? Praktisch ausgehebelt.
Immerhin: Ein weiteres BAG-Urteil vom März stärkte freigestellte Betriebsräte bei der Vergütung. Die Beweislast für Gehaltskürzungen liegt nun beim Arbeitgeber. Doch der Fall Reinoldus zeigt: Direkte Kündigungsversuche bleiben das Mittel der Wahl bei aggressiven Arbeitgebern.
Siemens Energy als Gegenentwurf
Dass es auch anders geht, beweist Siemens Energy. Der Energiekonzern legte Mitte November beeindruckende Zahlen vor und erhöhte seine Mittelfristziele für 2028. CEO Christian Bruch lobte ausdrücklich die konstruktive Rolle der Belegschaft.
„Produktivität und Mitbestimmung schließen sich nicht aus”, kommentierten Branchenanalysten. Der Ansatz „Produktiv mit Betriebsrat” ermöglichte dem Konzern deutlich reibungslosere Umstrukturierungen als sie kleinere, inhabergeführte Firmen oder zerstrittene Unternehmen wie Fraport erleben.
Wie geht es weiter?
Der Fall Reinoldus landet nun vor dem Arbeitsgericht. Der Arbeitgeber muss klagen, um die verweigerte Zustimmung des Betriebsrats zu ersetzen – ein aufwendiges Verfahren mit ungewissem Ausgang. Bei Fraport muss schnellstmöglich eine rechtssichere Neuwahl organisiert werden, um die Vertretung wiederherzustellen.
Was bleibt? Eine wachsende Kluft zwischen kooperativer Unternehmensführung und aggressiven „Union-Busting”-Taktiken. Die Gerichte werden immer häufiger zum letzten Schiedsrichter über betriebliche Demokratie. Und während sich manche Konzerne mit ihren Betriebsräten zum Erfolg hocharbeiten, verspielen andere im Kleinkrieg ihre Glaubwürdigkeit – und womöglich ihre besten Mitarbeiter.
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