Arbeitsschutzausschuss: KI und Psyche im Fokus
20.11.2025 - 18:21:11Die Zeiten, in denen sich Betriebssicherheit auf Helme und Feuerlöscher beschränkte, sind vorbei. Diese Woche zeichnet sich ab: Der Arbeitsschutzausschuss (ASA) wird zur Schaltzentrale für eine völlig neue Art von Risiken – von algorithmischer Transparenz bis zur Angst, im Homeoffice etwas zu verpassen.
Zwischen dem 17. und 20. November haben Konferenzen und Positionspapiere eine Entwicklung offengelegt, die viele Unternehmen noch unterschätzen dürften. Künstliche Intelligenz wird zum Standardwerkzeug in der Prävention, während hybride Arbeitsmodelle psychosoziale Sprengkraft entwickeln. Die Frage ist nicht mehr, ob der ASA sich wandeln muss – sondern wie schnell.
Am Dienstag machte die Konferenz “Smart Work, Safe Work” in Berlin deutlich, was auf Sicherheitsfachkräfte zukommt. Organisiert von der Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) und der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU), diskutierten Experten die Integration künstlicher Intelligenz in den Arbeitsalltag.
Seit August 2024 gelten neue EU‑Regeln für Künstliche Intelligenz — und viele Unternehmen unterschätzen die Folgen. Für Arbeitsschutzausschüsse ist jetzt wichtig zu wissen, welche Kennzeichnungspflichten, Risikoklassen und Dokumentationsanforderungen für eingesetzte KI‑Systeme gelten. Der kostenlose Umsetzungsleitfaden zur EU‑KI‑Verordnung erklärt praxisnah, wie Sie KI‑Systeme richtig klassifizieren, Risiken bewerten und Audit‑Checks vorbereiten. Kostenlosen KI-Umsetzungsleitfaden herunterladen
Michael Kirsch, Hauptgeschäftsführer der BG BAU, formulierte eine klare Ansage: “Wir befinden uns in einer dynamischen Phase des Arbeitsschutzes. KI verändert nicht nur unsere Werkzeuge, sondern auch unser Verständnis davon, wie Sicherheit entsteht.” Entscheidend sei jedoch die aktive Gestaltung dieses Wandels.
Konkret bedeutet das: ASAs müssen künftig prüfen, ob algorithmische Systeme – etwa zur Echtzeitüberwachung von Gefahrensituationen – tatsächlich nachvollziehbar, überprüfbar und sicher sind. Kirsch forderte einen einheitlichen europäischen Rahmen für KI im Arbeitsschutz. Die Botschaft an Betriebsräte und Sicherheitsbeauftragte: Algorithmen dürfen keine Black Box sein.
Auf Baustellen könnte die Technologie bereits kurzfristig Wirkung zeigen. Die Konferenz hob digitale Sozialversicherungsausweise hervor, die in Österreich, Schweden und Finnland bereits Schwarzarbeit erschweren und Sicherheitsstandards durchsetzen.
Homeoffice-Falle: Wenn Vertrauen zu Misstrauen wird
Während in Berlin über Algorithmen debattiert wurde, legte die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) am selben Tag einen Bericht vor, der eine ganz andere Dimension beleuchtet. Titel: “Hybrides, Ortsflexibles, Multilokales Arbeiten? Wissenschaft im Dialog V”.
Die Kernaussage: Die Experimentierphase ist vorbei. Unternehmen müssen hybride Arbeit jetzt systematisch gestalten – sonst drohen Risse im Team. Der ASA wird dabei zum Seismografen für Spannungen, die auf den ersten Blick unsichtbar bleiben.
Was ist das Problem? Die BAuA identifiziert neuartige Risikofaktoren wie die “arbeitsbezogene Angst, etwas zu verpassen” (aFoMO) und wahrgenommene Ungerechtigkeiten beim Zugang zu mobilem Arbeiten. In Produktionsbetrieben oder der Pflege, wo Präsenz zwingend ist, können sich Belegschaften spalten: die einen im Homeoffice, die anderen vor Ort – mit dem Gefühl, weniger Freiheit zu haben.
Für Arbeitsschutzausschüsse bedeutet das: Die klassische Gefährdungsbeurteilung muss erweitert werden. Statt nur nach ergonomischen Bürostühlen zu fragen, müssen ASAs nun “Macht versus Vertrauen”-Dynamiken in Teams aktiv überwachen. Ohne klare Regeln, so die BAuA, droht der Ausschluss ganzer Mitarbeitergruppen.
Digitalisierung als Präventionsstrategie
Den Rahmen für diese Entwicklungen setzte ein Positionspapier, das am Montag von den Spitzenverbänden der Sozialversicherung veröffentlicht wurde – DGUV (Unfallversicherung), DRV (Rentenversicherung) und GKV (Krankenversicherung) gemeinsam.
Die Forderung: ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen für die digitale Transformation der Sozialversicherungssysteme. Dr. Stephan Fasshauer, Hauptgeschäftsführer der DGUV, formulierte es so: “Digitale Innovation ist gelebte Prävention – und ein Schlüssel zum Bürokratieabbau.”
KI-gestützte Analysen könnten Risiken früher erkennen und Prävention gezielter umsetzen, heißt es in dem Papier. Für den ASA bedeutet das einen Perspektivwechsel: Weg vom reaktiven Krisenmanagement nach Unfällen, hin zur datengetriebenen Früherkennung. Vernetzte Datenstrukturen sollen Unfalltrends und Gesundheitsrisiken sichtbar machen, bevor Menschen zu Schaden kommen.
Gewalt in der Pflege: Wenn Struktur verletzt
Am Mittwoch rückte die Gewerkschaft ver.di in Hamburg ein Thema in den Fokus, das die erweiterte Rolle des ASA unterstreicht: Gewalt gegen Pflegekräfte. Über 140 Teilnehmer diskutierten auf der Fachtagung “Respekt. Nähe. Schutz. – Umgang mit Gewalt in der Pflege”.
Mareike Adler von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) machte klar: Gewalt ist häufig und hat langfristige gesundheitliche Folgen. Entscheidend war jedoch die Erkenntnis, dass nicht nur physische Übergriffe zählen. Strukturelle Gewalt durch Personalmangel und Zeitdruck müsse ebenso Thema im ASA werden.
Hamburgs Verbraucherschutzsenatorin Anna Galina räumte ein, dass das Problem zwar politisch angekommen, aber längst nicht gelöst sei. Die Verantwortung liegt also bei Arbeitgebern – und deren Sicherheitsausschüssen. Schutzkonzepte müssen über Deeskalationstrainings hinausgehen und die strukturellen Ursachen angehen.
Was das für Unternehmen bedeutet
Die Ereignisse dieser Woche zeigen: Der Arbeitsschutzausschuss 2025 braucht ein völlig neues Kompetenzprofil. Mitglieder müssen KI-Anbieter nach Algorithmen-Transparenz befragen können, Teamdynamiken in hybriden Settings analysieren und Gewaltschutzkonzepte entwickeln, die Personalschlüssel hinterfragen.
Diese Entwicklung passt zum europäischen Trend der “Smart Safety”, bei dem technische Sicherheit und organisationale Gesundheit verschmelzen. ASAs werden zu Gatekeepern für Workplace-Technologie – sie entscheiden mit, ob digitale Effizienz die Gesundheit der Beschäftigten gefährdet oder schützt.
Für 2026 sollten Unternehmen ihre ASA-Agenda entsprechend anpassen:
KI-Audits: Prüfung aller automatisierten Management-Tools auf Sicherheit und Nachvollziehbarkeit.
Fairness-Checks im Hybridmodell: Analyse, ob Remote-Regelungen psychosoziale Gräben schaffen.
Gewaltprävention 2.0: Besonders in Dienstleistungsbereichen – mit Fokus auf personalbedingte Auslöser, nicht nur Symptombekämpfung.
Klar ist: Die Grenze zwischen physischer und digitaler Arbeitswelt verschwimmt. Der Arbeitsschutzausschuss bleibt das zentrale Forum, um sicherzustellen, dass diese Transformation sicher, gerecht und menschenzentriert verläuft. Unternehmen, die das unterschätzen, riskieren nicht nur Unfälle – sondern den Zusammenhalt ihrer Belegschaft.
PS: Für Betriebsräte, Sicherheitsbeauftragte und ASA-Mitglieder lohnt es sich, die Fristen und Pflichten jetzt systematisch anzugehen. Das gratis E‑Book zur EU‑KI‑Verordnung fasst Anforderungen, Übergangsfristen und Checklisten zusammen — ideal für KI‑Audits und Gefährdungsbeurteilungen im digitalen Arbeitsschutz. Jetzt KI-Leitfaden gratis sichern


