Widerrufsjoker: Wie das BGH-Urteil die Spielregeln beim Widerruf eines Darlehens ändern wird
Banken und Verbraucher, die Immobilienkredite abgeschlossen haben, schauen mit großer Spannung auf den 23. Juni 2015. Dann befasst sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Möglichkeit eines nachträglichen Widerrufs von Darlehen.
Genauer gesagt, nehmen sich die obersten Richter das wichtigste Argument vor, das Banken und zunehmend auch untere Gerichtsinstanzen ins Feld geführt haben, um einen Widerruf zurückzuweisen: die sogenannte Verwirkung. Es geht also dabei um die Frage, ob der Verbraucher zu lange mit seinem Widerruf gewartet hat und damit das Kreditinstitut annehmen konnte, dass die Sache abgeschlossen ist. Die Verwirkung wird – anders als die Verjährung – von Gerichten nur sehr selten dazu benutzt, Ansprüche von Verbrauchern zu beschneiden. Nichtsdestotrotz hatten zuletzt etliche Banken genau dieses Argument benutzt, um auch bei eindeutig fehlerhaften Widerrufsbelehrungen einen außergerichtlichen Vergleich mit ihren Kunden abzulehnen.
Nimmt man die bisherigen Urteile des BGH als Maßstab, dann gibt es kaum Zweifel daran, dass es beim Widerrufsjoker zu einem verbraucherfreundlichen Urteil kommen wird. Denn bereits in der Vergangenheit hatte der BGH in etwas anders gelagerten Fällen dem Thema Verwirkung eine klare Absage erteilt. Ungeachtet dessen haben sich in den vergangenen Monaten einige Gerichte der unteren Instanzen auf die Seite der Banken geschlagen. So hatten zum Beispiel das Landgericht und das Oberlandesgericht Frankfurt Klagen von Verbraucher zurückgewiesen, die einen Kredit widerrufen wollten. Begründung der Frankfurter Richter: Das Recht auf Widerruf sei verwirkt, da der Abschluss des Darlehens bereits mehrere Jahre zurückliege.
Wenn nun der BGH dieser Argumentation einen Riegel vorschiebt, dann gilt das zunächst einmal nur für den spezifischen Fall, den die Karlsruher zu entscheiden haben. Allerdings dürfte das Urteil weit größere Auswirkungen haben. Sagt der BGH nämlich „Nein“ zur Verwirkung, dann ist kaum vorstellbar, dass Gerichte in den unteren Instanzen sich dieser Sichtweise widersetzen. Kein Richter an Landgericht oder Oberlandesgericht hat Lust darauf, dass sein Urteil in der Revision vor dem BGH gekippt wird. Aber genau darauf würde es hinauslaufen, wenn man hier anders entscheiden würde als der BGH.
Ein verbraucherfreundliches Urteil des BGH wie wir es bei der IG Widerruf erwarten, hätte daher vor allem zwei Konsequenzen: Verbraucher, deren Klage vor Gericht wegen Verwirkung zurückgewiesen wurde, hätten gute Chancen auf einen Sieg in der Berufung. Und die zweite, noch wichtigere Konsequenz: Alle, die bisher noch nicht in Sachen Widerrufsjoker aktiv geworden sind, hätten dann viel bessere Chancen, ohne großen Rechtsstreit aus ihrem teuren Immobilienkredit herauszukommen oder eine deutliche Absenkung der Zinsen mit ihrer Bank auszuhandeln.
Wir gehen nämlich davon aus, dass viele Banken ihre Blockadehaltung aufgeben werden, sobald der BGH die Möglichkeit der Verwirkung verneint. Aus Bankenkreisen hören wir bereits jetzt, dass einige Häuser eine komplette Strategieänderung für den Fall planen, dass der BGH am 23. Juni pro Verbraucher entscheidet. Dann wird es für die Banken nur noch darum gehen, möglichst viele Fälle außergerichtlich zu erträglichen Kosten zu vergleichen. Das Risiko eines Prozesses würde nämlich für den Kunden bei einem entsprechenden BGH-Urteil deutlich sinken. Und siegt der Kunde vor Gericht, dann wird es für die Bank richtig teuer. In diesem Fall droht nämlich eine Rückabwicklung des Kredits, d.h. dass die Bank auch für bereits vergangene Laufzeit des Darlehens einen Teil der Zinsen erstatten muss.
Wie sollten Sie sich nun verhalten? Ist es sinnvoll, mit weiteren Aktionen bis nach dem Urteil des BGH warten? Aus meiner Sicht lautet die Antwort: Nein. Vor allem jene Vorarbeiten, die für die Mandatierung eines Anwalts nötig sind, können und sollten Sie bereits jetzt erledigen. Also insbesondere die Prüfung ihrer Verträge durch einen Rechtsanwalt sowie ggf. der Abschluss einer Rechtsschutzversicherung. Siehe dazu die weiteren Beiträge dieser Kolumne.
Wenn Sie aufgrund einer Rechtsschutzversicherung kein Kostenrisiko befürchten müssen, können Sie auch jetzt bereits einen Anwalt beauftragen. Die IG Widerruf ist Ihnen dabei behilflich – genauso wie bei allen Fragen rund um die Anschlussfinanzierung. Lediglich wenn Sie die Anwaltskosten selbst bezahlen müssen, kann es sinnvoll sein, bis nach dem Urteil des BGH zu warten, um dann Chancen und Risiken besser abschätzen zu können.
Fällt das BGH-Urteil verbraucherfreundlich aus, dann ist mit einem Ansturm von Kreditnehmern zu rechnen, die ihre Darlehen widerrufen wollen. Die meisten erfahrenen Anwälte dürften dann erstmal „Land unter“ sein und möglicherweise sogar die Annahme neuer Mandanten stoppen. So gesehen macht es Sinn, hier nicht zu lange zu warten.
Allerdings ist unklar, ob der BGH bereits am 23. Juni ein Urteil sprechen wird. Denn für diesen Termin ist ein Anhörungstermin angesetzt. Es ist möglich, dass es an diesem Tag bereits ein Urteil gibt. Denkbar ist auch, dass zunächst einmal nur tendenzielle Aussagen der Richter zu hören sind und das Urteil erst einige Wochen später kommt. So oder so: Alles spricht dafür, dass der BGH die Spielregeln für den Widerrufsjoker neu schreiben wird.