Zu gut für fallende, zu schlecht für steigende Aktienkurse
Zu gut für fallende, zu schlecht für steigende Aktienkurse
von Sven Weisenhaus
Die deutsche Wirtschaft musste jüngst herbe Rückschläge einstecken. Denn die Wirtschaftsdaten für März enttäuschten mit zum Teil dramatischen Rückgängen. Wie ich bereits vor einer Woche berichtete, litt der Einzelhandel weiterhin unter der hohen Inflation und der damit verbundenen Kaufzurückhaltung der Konsumenten. Die Umsätze sanken kalender- und inflationsbereinigt (real) mit einem Minus von 2,4 % zum Vormonat deutlich (siehe „DAX erreicht trotz schlechter Nachrichten die 16.000er Marke“).
Am Donnerstag vergangener Woche wurde dann gemeldet, dass auch der Außenhandel schwächelte. Die Exporte gingen um 5,2 % zurück (Erwartung: -2,4 %).
Nicht minder enttäuschend waren die vorgestrigen Produktionsdaten. Der Output von Industrie, Bau und Energieversorgern lag demnach zusammen um 3,4 % unter dem des Vormonats, statt eines erwarteten Rückgangs von „nur“ 1,3 %.
Besonders stark enttäuschte der Auftragseingang. Denn das Neugeschäft der deutschen Industrie ist im März mit einem Minus von sagenhaften 10,7 % (!) zum Vormonat so stark eingebrochen wie seit der Hochphase der Corona-Krise vor 3 Jahren nicht mehr. Ökonomen hatten „nur“ mit einem Rückgang um 2,2 % gerechnet.
Vor diesem Hintergrund ist es fast schon ein wenig überraschend, dass die Wirtschaft in Deutschland im 1. Quartal 2023 laut Daten zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) lediglich stagnierte, statt in eine Rezession zu rutschen (siehe „Rutscht die Wirtschaft im zweiten Halbjahr in eine Rezession?“). Doch trotz des schwachen März – betrachtet man das 1. Quartal 2023, so war der Auftragseingang immerhin noch um 0,2 % und die Produktion sogar um 2,5 % höher als im 4. Quartal des Vorjahres.
Der schwache Auftragseingang ist das Hauptproblem
Dennoch ist insbesondere der schwache Auftragseingang ein Problem, das es genau zu beobachten gilt. Denn hier liegt schon seit 2021 ein Abwärtstrend vor. Und laut den Experten der Deka ist der Index der Auftragseingänge erstmals seit Juni 2020 unter den Produktionsindex gerutscht, womit der Auftragsbestand schmilzt. Auf Letzteren hat sich die deutsche Wirtschaft zuletzt gestützt. Doch wenn der Auftragsbestand irgendwann abgearbeitet ist, ohne dass ausreichend neue Aufträge hereinkommen, dürften einige Bänder stillstehen, mit entsprechenden Konsequenzen für die Mitarbeiter und die Wirtschaft.
Auftragsbücher sind noch gut gefüllt
Einen Grund zur Panik gibt es allerdings noch nicht. Denn noch sind die Auftragsbücher im verarbeitenden Gewerbe sehr gut gefüllt. Am 20. April hatte das Statistische Bundesamt mitgeteilt, dass der Auftragsbestand im Februar sogar um 0,5 % zum Vormonat zulegen konnte und um 0,9 % höher lag als im Vorjahresmonat. Und im Vergleich zum Februar 2020 (also kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie) lag der Auftragsbestand sogar um fast 30 % höher.
Die Reichweite des Auftragsbestands wurde mit 7,5 Monaten angegeben.
Zu gut für fallende, zu schlecht für steigende Aktienkurse
Insofern erklärt es sich, dass der DAX einerseits immer noch keine Anstalten macht, auf negative Nachrichten mit fallenden Kursen zu reagieren, und sich andererseits mit weiteren Kursgewinnen schwer tut und schon mehr als 3 Wochen lediglich seitwärts tendiert.
Das wiederum passt zu meiner Einschätzung, wonach das aktuelle Kursniveau des deutschen Leitindex aus fundamentaler Sicht angemessen, das weitere Kurspotential aus charttechnischer Sicht aber begrenzt scheint (siehe unter anderem „Fundamental: OK, charttechnisch: oh weh!“ und „Auch europäische und deutsche Unternehmen mit Verlusten“).
Auf absehbarer Zeit dürfte sich an dieser Einschätzung auch nichts ändern. Denn aufgrund der Geldpolitik der Notenbanken ist nicht damit zu rechnen, dass die Wirtschaft in den kommenden Monaten mehr Fahrt aufnehmen wird. Eher das Gegenteil dürfte der Fall sein: Die gestiegenen (Leit-)Zinsen wirken zunehmend bremsend, da Leitzinsanhebungen zeitverzögert in der Wirtschaft ankommen.
Es dürfte also bei einer Konsolidierung im DAX bleiben, wobei man unverändert auch größere Rücksetzer einkalkulieren sollte, die aus charttechnischer Sicht längst überfällig sind. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich die aktuelle Seitwärtstendenz des DAX (oberes gelbes Rechteck im Chart oben) immer mehr in eine Unsicherheitsformation wandelt (blaue Linien). Während eine „normale“ Seitwärtsbewegung (Flagge) als trendbestätigend gilt, ist eine solche Unsicherheitsformation, auch Broadening-Formation (oder Trompete) genannt, als ein bearishes Umkehr-Chartmuster bekannt.
Ich wünsche jedenfalls weiterhin viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus
(Quelle: www.stockstreet.de)