Aktienmärkte, Anleger

Ist der MSCI World Index ein Schwindel?

Ist der MSCI World Index ein Schwindel?
von Torsten Ewert

Sehr verehrte Leserinnen und Leser,

zu meinem Geldanlage-Brief, bei dem es um die langfristige Geldanlage geht, bekomme ich immer mal wieder Zuschriften – vorzugsweise von neuen Leserinnen und Lesern –, in denen ich kritisch nach ETFs gefragt werde. Insbesondere ETFs auf den MSCI World Index sind dabei immer wieder ein Thema. Dieser Index sei ein „Schwindel“, schrieb neulich jemand.

Wer dominiert „die Welt“?

An der Kritik sind auch die Medien schuld. Die Süddeutsche Zeitung schrieb vor einiger Zeit sogar, der MSCI World sei ein „Schummel-Index“. Ein starker Vorwurf, aber wir wissen, dass Medien oft starke Thesen bringen, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Der Hauptvorwurf: Der MSCI World Index besteht hauptsächlich aus US-Unternehmen und bildet daher „die Welt“ des Aktienmarkts bzw. der Wirtschaft nicht ab.

Diese Aussage stimmt. Daraus ergeben sich aber die folgenden Fragen: 1. Ist der MSCI World Index deswegen ein Schwindel oder wird damit gar (zugunsten der USA) geschummelt? 2. Ist es für Anleger ein Problem, wenn US-Unternehmen den MSCI World Index dominieren?

Schauen wir auf die Fakten: Keine Frage, Aktien aus den USA bzw. in US-Dollar dominieren mit 69 % den MSCI World Index (siehe Grafik). Diese Dominanz hat während des jüngsten Bullenmarkts seit 2009 deutlich zugenommen: 2008 lag der Anteil von US-Aktien „nur“ bei rund 50 %.

Quelle: iShares, eigene Berechnungen

Zudem ist „die Welt“ der Aktienmärkte in diesem Index gar nicht vollständig vertreten. Schwellenländer sind zum Beispiel gar nicht dabei, also auch nicht China. Südkorea fehlt ebenfalls, weil selbst dieses hochentwickelte Land bei MSCI noch als Schwellenland geführt wird. Der Grund: Ausländische Investoren unterliegen in Südkorea gewissen Beschränkungen und die nationale Währung Won ist nicht frei handelbar.

Alles regelgerecht!

Dies kann man kritisieren, aber Indexanbieter MSCI hält sich damit an seine Regeln. Von Schummeln oder Schwindel kann also nicht die Rede sein. Und auch die Dominanz von US-Aktien ist „regelgerecht“: Der MSCI World wird wie die meisten international bedeutenden Indizes nach Marktkapitalisierung gewichtet. Und die Marktkapitalisierung der US-Aktien ist nun einmal derart gestiegen.

Aber wäre es nicht besser, die Länderanteile z.B. nach ihrer Wirtschaftskraft zu bestimmen? Jein, denn man kann zwar die Länder nach dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) gewichten, aber nicht die einzelnen Aktien. Wie groß ist beispielsweise der Anteil von VW am deutschen BIP? Und wie berücksichtigt man dabei, dass viele Unternehmen zum BIP beitragen, die nicht an der Börse notiert sind?

Vermutlich könnte man diese Schwierigkeiten heutzutage überwinden, da die notwendigen Daten dazu inzwischen vorliegen. Als der MSCI World Index 1986 aufgelegt wurde, waren weder das Datenangebot noch die Rechnerkapazitäten dafür ausreichend. Die Marktkapitalisierung war (und ist) dagegen ein sehr einfaches Kriterium.

Wie gut sind alternative Indizes?

Und daher gibt es längst auch Indizes, die auf fundamentalen Kriterien basieren. Die einfachsten Varianten sind Value- und Growth-Teilindizes, die es für den MSCI World Index ebenfalls gibt. Hier werden die Aktien anhand weniger Kriterien und Parameter (die eher den Charakter von Faustregeln haben) in die beiden bekannten Kategorien eingeteilt. Typische Kennzahlen, die dabei genutzt werden, sind z.B. das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) und das Umsatzwachstum.

Andere Indizes, sogenannte RAFI-Indizes (Research Affiliates Fundamental Index, benannt nach dem Entwickler dieser Indizes, dem US-Analysehaus Research Affiliates) nutzen detailliertere Unternehmensdaten, z.B. neben Umsatz und KBV auch Cashflow-Werte oder die Dividendenrendite. Und schließlich kann man auch einfach den gleichgewichteten MSCI World Index als Benchmark nehmen.

All diese Indexkonzepte liefern über unterschiedliche Zeiträume unterschiedliche Ergebnisse. Aktuell bietet ein Vergleich der genannten Indizes das folgende, zu erwartende Bild (siehe folgender Chart): Growth-Aktien (rot) haben in den vergangenen Jahren alles hinter sich gelassen, vor allem die Blue Chips bzw. Large Caps, so dass auch der MSCI World Index (schwarz) den Rest deutlich übertraf.

Quelle: MarketMaker mit Daten von VWD

Das muss aber nicht immer so sein: Der Equal Weight Index ist dem „normalen“ Index seit 1999 (noch) voraus, lange Zeit auch dem Growth-Index. Dieser holte ihn jedoch durch seine Outperformance seit 2018 ein.

So relativiert sich die US-Dominanz

Die Kritik an der Gewichtungsmethode zielt also völlig ins Leere, denn wie immer man die Aktien gewichtet – es gibt keine Variante, die zu allen Zeiten besser läuft als die anderen. Und mit der US- und Tech-Dominanz sind wir ja ganz gut gefahren. Aus Anlegersicht ist die Gewichtungsmethode daher belanglos. Wer anderer Meinung ist, kann jederzeit einen entsprechenden ETF kaufen, um zu versuchen, auch noch die letzten Pünktchen Performance herauszuholen…

Im Übrigen ist auch die Dominanz der US-Aktien kein Naturgesetz. In den 1980er Jahren hatten japanische Aktien einen sehr großen Einfluss auf den MSCI World Index. 1987 erreichten sie sogar das größte Ländergewicht des Index. Daher ließ er sein US-Pendant auch hinter sich. Das änderte sich erst, als die Rally in Japan 1989 endete und die Aktienmarktblase dort platzte.

Die US-Dominanz besteht zudem auch nur auf dem Papier. Schließlich sind gerade die großen US-Konzerne, wie Microsoft, Apple und Co. weltweit aktiv und präsent. Ihre Umsätze und Gewinne und damit die Aktienkurse hängen daher zu einem Großteil von der Weltwirtschaft ab.

Die 5 größten US-Konzerne, die auch den MSCI World Index anführen – Apple, Microsoft, Amazon, Nvi-dia und Tesla – erwirtschaften im Durchschnitt mehr als 50 % ihrer Umsätze außerhalb der USA. Ein Teil davon kommt auch aus China und anderen Emerging Markets, so dass diese zumindest indirekt im Index vertreten sind. Ähnliches gilt auch für Unternehmen anderer Länder. Das relativiert den nominalen US-Anteil des Index schon deutlich.

Noch ein neuer Index!?

Kritikern der traditionellen Indexberechnung geht dieses Argument besonders gegen den Strich: Dies sei lächerlich, meinen sie, denn nach dieser Logik bräuchte man ja stets nur die größten Unternehmen kaufen. Damit verdrehen sie aber die Aussage, denn diese plädiert nicht dafür, eine Large Cap-Strategie zu fahren (was man aber machen kann und was auch schon oft genug gemacht wurde), sondern weist nur darauf hin, dass die genannten Großkonzerne international tätig sind und damit die „USA-Lastigkeit“ des MSCI World Index tatsächlich geringer ist.

Aber selbst in dieser Kritik steckt ein wahrer Kern: Man kann sicherlich auch dadurch eine gewisse internationale Diversifikation erreichen, indem man Unternehmen wählt (egal, ob groß oder klein), deren Geschäfte sich möglichst gleichmäßig über den gesamten Globus erstrecken. Das wäre dann eine weitere Möglichkeit einen Welt-Index aufzulegen…

Aber was ist mit dem Klumpenrisiko?

Aber ist die US-Dominanz nicht dennoch ein (Klumpen-)Risiko? Schließlich können auch einzelne Länderbörsen „über Nacht“ zusammenbrechen, z.B. im Kriegsfall. Zuletzt geschah das 2022 nach dem Überfall auf die Ukraine, als russische Aktien für Anleger in anderen Ländern nicht mehr handelbar waren.

Dieses Risiko besteht durchaus. Aber Risiken gibt es an der Börse immer und wir können uns nicht gegen alle absichern. Sicherlich wäre ein Zusammenbruch des US-Aktienmarktes „über Nacht“ ein Desaster, aber für wie wahrscheinlich halten wir das? Und selbst, wenn dieser (unwahrscheinliche) Fall eintritt: Wer glaubt wirklich, dass dann „nur“ der MSCI World Index 69 % seines Wertes verliert und sich die entsprechenden ETF-Anleger schwarzärgern, während das Leben sonst ungerührt weitergeht? Vermutlich haben wir dann erheblich mehr und größere Probleme als den Einbruch unseres MSCI World Index ETFs.

Das Klumpenrisiko im MSCI World Index gibt es zweifellos, aber es ist keineswegs das größte, wichtigste oder wahrscheinlichste, mit dem Anleger konfrontiert sind. Und in der Regel wird ein Rückgang des Anteils des am stärksten gewichteten Landes im MSCI World ein schleichender Prozess, so wie es ab den 1990er Jahren bei der Ablösung Japans durch die USA war. Das haben Anleger im MSCI World Index fast nicht gemerkt – selbst der anfängliche Crash hinterließ kaum Spuren (siehe Chart).

Quelle: MarketMaker mit Daten von VWD

Warum nicht das drin ist, was draufsteht

Schön und gut, werden Sie jetzt sagen. Aber im MSCI World Index ist ja nicht drin, was draufsteht! Ja, und das hat historische Gründe. Als der Index 1986 aufgelegt wurde, bestand die Investment-„Welt“ faktisch nur aus den etablierten Märkten, die heute „Developed Markets“ genannt werden.

Das hat sich zwar inzwischen geändert (der MSCI Emerging Markets Index wurde 2001 aufgelegt), aber der Name „World“ blieb für den MSCI World Index reserviert, der sich inzwischen etabliert hatte. Immerhin hat MSCI inzwischen einen echten Weltindex im Angebot, der den sperrigen Namen „MSCI All Country World Index“, abgekürzt MSCI ACWI trägt. Ja, der MSCI World Index ist ein Anachronismus, was für Anleger, die gewöhnlich derartige Details nicht recherchieren, verwirrend sein kann.

Auf der anderen Seite ist MSCI ein Indexanbieter für institutionelle Investoren, welche die Indizes als Benchmark für eigene Produkte nutzen. Diese suchten eher Benchmarks für immer feiner untergliederte Marktsegmente, z.B. Sektoren und Branchen für einzelne Länder. Breit gefasste Indizes wurden dagegen erst populär, nachdem sie für entsprechende ETFs für Privatanleger Verwendung fanden. Hier steht die Einfachheit eines breit gestreuten Investments im Vordergrund.

Wie Sie „das Problem“ lösen können

Müssen wir nun also umlernen und uns den MSCI ACWI ins Depot holen? Aus meiner Sicht nicht. Den Grund zeigt der folgende Chart: Die Unterschiede zwischen beiden Indizes sind bisher belanglos. Denn auch im ACWI dominieren die US-Blue Chips, nur mit 62 statt mit 69 %.

Quelle: MarketMaker mit Daten von VWD

Größter Neuzugang gegenüber dem MSCI World Index ist China, dessen Aktien aber auch nur auf 3 % Anteil im Index kommen. Sofern sich daran nichts ändert und China in 5 oder 10 Jahren den ACWI dominiert und massiv nach oben oder unten zieht, ist der „alte“ MSCI World immer noch eine gute Wahl.

Zumal ETFs auf den MSCI World deutlich zahlreicher und größer und damit liquider sind. Der ACWI, aber auch die anderen, oben genannten Varianten sind wenig populär und damit die entsprechenden ETFs auch sehr klein. Da wird schon mal ein ETF geschlossen, wie es 2021 beim VanEck Global Equal Weight ETF der Fall war. Zudem sind die Kosten bei kleinen, spezialisierten Fonds höher. Das alles ist nicht im Sinn von Anlegern, die einfach und langfristig in einem breiten Markt investieren wollen.

Mit ETFs auf den MSCI World Index fahren Anleger also weiterhin gut. Wenn Sie andere Regionen stärker gewichten wollen (z.B. Europa oder die Emerging Markets), nehmen Sie einfach entsprechende ETFs hinzu, die ebenfalls groß, liquide und günstig sind. Dann haben Sie immer noch ein übersichtliches Depot.

Fazit

Der MSCI World Index wird zwar von US-Aktien dominiert, aber das ist kein Grund, ETFs auf diesen Index zu meiden. Wirtschaftlich ist „die Welt“ angemessen in dem Index gut vertreten. Er hat Vor- und Nachteile, was für andere Indexkonzepte ebenfalls gilt. Wer hier gegensteuern will, sollte besser andere ETFs hinzunehmen, anstatt auf „Exoten“ auszuweichen.

Mit besten Grüßen

Ihr Torsten Ewert

(Quelle: www.stockstreet.de)

@ ad-hoc-news.de | 28.11.23 09:01 Uhr