Der große Verfallstag als Wendepunkt?
Der große Verfallstag als Wendepunkt?
von Sven Weisenhaus
Vorgestern war an den Börsen relativ wenig los. Das lag vor allem am Feiertag in den USA, wegen dem auch kein offizieller Handel an der Wall Street stattfand. Ohne die Impulse der Weltleitbörse agieren die Anleger meist nur sehr vorsichtig. Zudem war der Terminkalender im Hinblick auf die Veröffentlichung relevanter Wirtschaftsdaten nahezu leer. Lediglich einige Vertreter der Europäischen Zentralbank (EZB) meldeten sich zu Wort. Sie bekräftigten dabei die Notwendigkeit einer weiteren Zinsanhebung im Juli, was aber nach dem Zinsentscheid der vergangenen Woche keine Überraschung oder Neuigkeit darstellte. Die Anleger nutzten den vorgestrigen Handelstag nach dem vorherigen Höhenflug der Aktienmärkte daher lediglich für leichte Gewinnmitnahmen.
Im DAX droht erneut eine Bullenfalle
Der DAX fiel dabei unter die ehemaligen Rekordhochs vom 18.11.2021 bei 16.290,19 Punkten und vom vergangenen Monat bei 16.331,94 Zählern zurück. Diese Bewegung setzte sich gestern fort. Damit droht nun erneut eine Situation, mit der es Anleger bereits nach dem erstmaligen Anstieg über das alte Rekordhoch bei 16.290,19 Punkten vom 19. Mai zu tun hatten (rote Bögen). Man muss also aktuell wieder eine Bullenfalle fürchten, die bearishe Konsequenzen nach sich zieht.
Viel charttechnisches Porzellan ist damit aber noch nicht zerschlagen. Denn Unterstützung erhielt der deutsche Leitindex bereits von der oberen Linie der alten Unsicherheitsformation (blau, siehe grüner Pfeil). Erst wenn diese gebrochen wird, dürfte die psychologisch wichtige Marke von runden 16.000 Punkten den Index wieder anziehen. Dann droht auch ein erneuter Rückfall in die Seitwärtsspannen (gelb), was weiter fallende Kurse nach sich ziehen dürfte.
Der große Verfallstag als Wendepunkt?
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es in der Aufwärtsbewegung seit dem Bärenmarkttief vom vergangenen September schon eine ganze Reihe von Bullenfallen gab. Und keine davon hatte nachhaltig bearishe Konsequenzen. Aktuell gibt es jedoch einen wichtigen Unterschied: Der vergangene Freitag war ein großer Verfallstag. Und in der Vergangenheit markierten einige dieser Tage zumindest kurzfristige Trendwenden. Vor diesem Hintergrund muss man die aktuelle Bullenfalle mit besonderer Vorsicht betrachten, auch angesichts der teilweise massiv überkauften Situation an den Aktienmärkte.
China senkt wie erwartet weitere Leitzinsen
Zumal langsam wieder Konjunktursorgen an die Börsen zurückkehren könnten. Denn die chinesische Zentralbank hat gestern tatsächlich weitere wichtige Leitzinsen gesenkt, um der schwächeren Wirtschaftsentwicklung entgegenzuwirken. Der 1-jährige Schlüsselsatz LPR (Loan Prime Rate) wurde um 10 Basispunkte auf 3,55 % und der 5-jährige Leitzins ebenfalls um 10 Basispunkte auf 4,20 % reduziert. Die Märkte hatten für den heutigen Tag mit erneuten geldpolitischen Maßnahmen gerechnet (siehe auch „EZB erhöht, Fed pausiert und China senkt – egal!“).
Auftragspolster der deutschen Industrie schmilzt weiter
Außerdem wurde gestern gemeldet, dass die Auftragspolster der deutschen Industrie angesichts der anhaltenden Entspannung der Lieferketten und zu geringer Neubestellungen (siehe Börse-Intern vom 6. Juni) immer mehr abnehmen. Im April sank der Auftragsbestand im verarbeitenden Gewerbe um 0,8 % im Vergleich zum Vormonat.
Im Vergleich zum Vorjahr beträgt der Rückgang sogar 2,3 %. Die Reichweite des Auftragsbestands liegt dadurch „nur“ noch bei 7,3 Monaten, nach 7,4 im März. Das ist zwar immer noch komfortabel, aber ein Ende dieser Entwicklung zeichnet sich weiterhin nicht ab.
LANXESS beklagt Lagerabbau und schwache Nachfrage
Wie sich das im Einzelnen auswirken kann, hat LANXESS gerade eindrucksvoll gezeigt. Die Aktie des DAX-Unternehmens hat seit Freitag bis zu 21,5 % an Marktwert eingebüßt – also mehr als ein Fünftel in nur zwei Handelstagen.
Grund dafür ist eine Gewinnwarnung. Vorgestern wurde die Mitteilung veröffentlicht, dass sich eine allgemein sehr schwache Nachfrage sowie ein anhaltender Lagerabbau bei Kunden, was bereits im 1. Quartal 2023 zu beobachten war, im 2. Quartal fortsetzt und andauert.
Ein Einzelfall? Keineswegs! Am Freitag musste Sartorius die Prognose für das Geschäftsjahr 2023 senken. Der Grund: Eine „anhaltende allgemeine schwache Nachfragedynamik“ sowie ein „länger als erwartet andauernder Lagerbestandsabbau“ bei Kunden. Das Ergebnis: Ein Einbruch des Aktienkurses um mehr als 16 % allein am vorgestrigen Montag.
Es sind also genau die Probleme, die sich in den volkswirtschaftlichen Daten (sinkende Auftragseingänge, sinkende Auftragsbestände) längst ablesen ließen und über die ich in den vergangenen Wochen mehrfach berichtet habe (siehe unter anderem „Passt das Rekordhoch im DAX noch zur wirtschaftlichen Entwicklung?“). Diese haben nun zu Gewinnwarnungen bei Unternehmen und Kurseinbrüchen bei den Aktien geführt. Der Kursanstieg der Aktienindizes, insbesondere des DAX und des Nasdaq 100, hat diese Probleme aus meiner Sicht überdeckt.
Gewinnmitnahmen
Nun bin ich sehr gespannt, ob diese Warnungen bei den Anlegern ankommen und zu einem Umdenken führen, also zu mehr Gewinnmitnahmen und somit einer längst überfälligen Korrektur der Aktienindizes.
Ich wünsche Ihnen jedenfalls weiterhin viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus
(Quelle: www.stockstreet.de)