Britisches Leave: Systemisches Risiko für die Europäische Union?
Das Referendum in Großbritannien, bei dem sich die Mehrheit der Wähler für einen EU-Austritt aussprach, hat Europa in ein politisches Chaos gestürzt und eine Verfassungskrise ausgelöst. Dies ist wenig hilfreich für die Finanzmärkte, denn Zweifel und Unsicherheit sind das, was sie am meisten hassen.
Obwohl der Brexit nicht zu einem wirtschaftlichen oder finanziellen Systemrisiko wie bei der Subprime-Krise führen sollte, scheinen die Konsequenzen dennoch schwer einzuschätzen. Es wird zweifellos eine gewisse Zeit dauern, bis dieses Ereignis politisch aufgearbeitet ist. Damit verbunden sind langfristige Unsicherheiten, die mit der Dauer der Austrittsverhandlungen zusammenhängen. Die Folgen für das Wirtschaftswachstum in Europa sind nach wie vor ungewiss. Einfacher zu quantifizieren ist dagegen der Kursverfall des britischen Pfund. Die Finanzanalysten haben bereits begonnen, ihre Prognosen der Nettogewinne je Aktie bei den europäischen Unternehmen anzupassen.
Die Risikoaversion der weltweiten Anleger ist heute der wichtigste Faktor, der die Entwicklung der Märkte bestimmt. Das trat am Freitag, den 24. Juni, besonders deutlich zutage. Wie bereits 2008 und 2011 ging auch dieses Mal der Anstieg der Risikoaversion mit einem massiven Ausverkauf bei risikoreichen Vermögenswerten einher. Angesichts der politischen Orientierungslosigkeit in Europa entwickelten sich Finanzwerte sowie Aktien der Peripherieländer besonders schlecht. Nun sind derartige politische Ereignisse kaum vorherzusehen und ihre Folgen schwer einzuschätzen. Es lohnt sich jedoch, einen Blick auf die aktuellen Bewertungen der Unternehmen zu werfen und sie mit jenen der Jahre 2009 und 2011 zu vergleichen.
Banken im Fokus – Absturz in nur zwei Tagen
Die europäischen Banken erlitten nach dem Referendum durchweg hohe Kursverluste. Diese entsprechen in etwa jenen von 2011, als die politische Krise in der Eurozone einen Höhepunkt bzw. systemisches Niveau erreichte. Damals verloren Banken wie Lloyd's, Intesa SanPaolo, Unicredit und BNP Paribas innerhalb von drei Monaten mehr als 30 Prozent ihres Börsenwertes. Nach dem Brexit-Referendum erlitten die gleichen Institute in nur zwei Tagen ähnlich hohe Verluste. Ihre Bewertungsniveaus fielen auf den tiefsten Stand seit 2011, obwohl sie heute über ein deutlich höheres Eigenkapital verfügen als vor fünf Jahren.
Bewertungsniveaus ähnlich wie 2009
Auch die aktuellen Bewertungsniveaus bestimmter Zykliker spiegeln ein Extremszenario wider, das mit dem Wirtschaftsschock von 2009 vergleichbar ist. Dies ist der Fall bei Zeitarbeitsfirmen wie Hays, Randstad und Page Group, deren Kurse seit dem 24. Juni ebenfalls um mehr als 30 Prozent zurückgegangen sind. 2009 hatten diese Unternehmen insgesamt einen Umsatzeinbruch von mehr als 30 Prozent hinnehmen müssen. Die Rentabilität dieser Konzerne war damals um die Hälfte zurückgegangen, und ihre Bewertungen waren auf einen historischen Tiefstand von 30 bzw. 70 Prozent des Umsatzes gefallen. Mittlerweile haben sie dieses Niveau wieder erreicht. Mit einer ebenso düsteren Zukunft scheinen die Märkte bei einigen Baustoffunternehmen wie Wienerberger sowie bei Einzelhändlern wie Marks&Spencer und Tesco zu rechnen.
So spiegeln einige Bewertungsniveaus ein systemisches Risiko wider, das in der derzeitigen Phase nicht gerechtfertigt scheint. Auch die kommenden Wochen werden durch hohe Kursschwankungen geprägt sein, wobei sich zunehmend interessante Chancen eröffnen werden. Die politische Krisenbewältigung wird jedoch nicht linear verlaufen, sondern von Rückschlägen geprägt bleiben.