Seit dem Morgen gilt die vereinbarte Feuerpause im Gaza-Krieg, aber wird sie auch halten? Die Kämpfe dauerten bis zuletzt an - und sollen nach der Waffenruhe weitergehen.
24.11.2023 - 06:23:09Feuerpause im Gaza-Krieg ist in Kraft getreten. Der Überblick.
Mit der vereinbarten Feuerpause zwischen Israel und der islamistischen Hamas hat am Freitagmorgen eine neue Phase im Gaza-Krieg begonnen. Die Waffenruhe begann um 7.00 Uhr Ortszeit (6.00 Uhr MEZ) und soll mindestens vier Tage dauern. Eine Verlängerung auf bis zu zehn Tage ist möglich, wie das in dem Konflikt vermittelnde Golfemirat Katar mitgeteilt hatte.
Die Feuerpause soll den Weg bereiten für die Freilassung von Geiseln in der Gewalt der Hamas und von palästinensischen Häftlingen in Israel sowie für die Einfuhr von mehr humanitärer Hilfe in den Gazastreifen. Die Geiseln sollen nach ihrer vereinbarten Freilassung in geschützten Räumen in Israel untergebracht werden.
Die zunächst 13 Frauen und Kinder sollten dort die notwendige medizinische Behandlung und Unterstützung erhalten, teilte die israelische Armee mit. Nach dem ersten Empfang und der medizinischen Behandlung sollten sie in Krankenhäuser gebracht werden, wo sie ihre Familien treffen könnten. Die Freigelassenen sollen mit Hubschraubern in verschiedene Kliniken gebracht werden.
Insgesamt 39 palästinensische Häftlinge sind vor ihrer geplanten Freilassung bereits auf dem Weg zu einem zentralen Gefängnis in Israel. Bedingung für ihre Freilassung sei, dass zuvor 13 Geiseln aus der Gewalt der Hamas im Gazastreifen freikämen, sagte eine Sprecherin der israelischen Gefängnisbehörde.
Hilfslieferungen aus Ägypten
Unterdessen wurden erste Hilfslieferungen von Ägypten aus in den Gazastreifen gebracht. Über den Rafah-Grenzübergang im Süden des Küstenstreifens seien Lastwagen mit humanitären Hilfslieferungen gelangt. Auch der staatsnahe ägyptische Fernsehsender Al-Kahira News berichtete am morgen, dass erste Lieferungen über Rafah in den Gazastreifen unterwegs seien.
Die israelische Armee teilte mit, es seien vier Tanklaster mit Treibstoff und vier Laster mit Gas von Ägypten über den Rafah-Übergang an UN-Hilfsorganisationen im Süden des Gazastreifens übergeben worden. Dies sei von der israelischen Regierung als Teil der Feuerpause genehmigt worden. «Der Treibstoff und das Kochgas sind für den Einsatz der grundlegenden humanitären Infrastruktur im Gazastreifen bestimmt.»
Die Kämpfe dauerten unterdessen bis zuletzt an. Im israelischen Grenzgebiet zum Gazastreifen gab es noch unmittelbar vor Beginn der Waffenruhe und auch kurz danach wieder Raketenalarm, so wie es auch schon bei früheren Waffenruhen der Fall gewesen war. Die israelische Armee hatte zuvor ihre Angriffe im Gazastreifen noch intensiviert und wird ihre Soldaten auch während der Kampfpause dort stationiert lassen.
Große Explosion am Schifa-Krankenhaus
Die israelische Armee zerstörte nach eigenen Angaben einen unterirdischen Tunnelkomplex im Bereich des Schifa-Krankenhauses in der Stadt Gaza. Auf einer Videoaufnahme war eine starke Explosion in einem Gebäudekomplex zu sehen. Mindestens eines der mehrstöckigen Gebäude schien durch die Explosion schwer beschädigt zu werden, wie der nur wenige Sekunden lange Videoclip zeigte. Nach Darstellung der Armee hatte die islamistische Hamas den Tunnelkomplex für Terrorzwecke missbraucht.
Geiseln sollen um 15 Uhr freikommen
Um 16.00 Uhr Ortszeit (15.00 Uhr MEZ) sollen im Zuge der Vereinbarung zwischen Israel und Hamas die ersten 13 im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln freigelassen werden. Bei ihnen handelt es sich um Frauen und Kinder. Im Gegenzug sollen für jede Geisel drei palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen entlassen werden. Auch hier geht es um Frauen und Minderjährige.
Mit der Waffenruhe - fast sieben Wochen nach Kriegsbeginn - soll es auch mehr Hilfslieferungen für die notleidende Zivilbevölkerung im Gazastreifen geben. Inzwischen sind dort mehr als 1,7 Millionen Menschen, also rund drei Viertel der Bevölkerung, UN-Angaben zufolge Binnenflüchtlinge. Das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA will die Kampfpause nutzen, um dringend benötigte Hilfsgüter zu verteilen.
Israel kündigt weitere Einsätze im Gazastreifen an
Während der Waffenruhe würden alle Seiten ihre militärischen Aktivitäten einstellen, kündigte ein Sprecher der Kassam-Brigaden an, die den bewaffneten Arm der Islamistenorganisation Hamas bilden. Nach dem vorläufigen Ende der intensiven Kämpfe soll es nach Angaben des israelischen Militärs aber auch weiterhin viele Einsätze im Gazastreifen geben, bis von dort aus keine militärische Bedrohung mehr ausgehe.
Ein israelischer Armeesprecher schrieb auf X, vormals Twitter, kurz vor Beginn der Feuerpause auf Arabisch: «Der Krieg ist noch nicht vorbei.» Der nördliche Gazastreifen sei weiterhin eine «gefährliche Kriegszone» und es sei verboten, sich dort hin und her zu bewegen. Palästinenser sollten in einer «humanitären Zone» im Süden des Küstenstreifens verbleiben. Für Zivilisten sei es allerdings weiterhin möglich, sich vom Norden in den Süden zu bewegen. In der anderen Richtung sei dies verboten.
Nach nach Beginn der Feuerpause soll die israelische Armee gewaltsam gegen Palästinenser vorgegangen sein, die entgegen militärischer Anordnungen unterwegs in den Norden des Gazastreifens waren. Nach Angaben aus Hamas-Kreisen wurden im zentralen Bereich des Gazastreifens zwei Menschen durch Schüsse getötet und weitere verletzt. Augenzeugen berichteten außerdem, die Armee habe Tränengas eingesetzt. Ein israelischer Militärsprecher sagte, man prüfe die Berichte.
Zahl der Toten im Gazastreifen
Die Zahl der im Gazastreifen getöteten Palästinenser ist seit Kriegsbeginn vor knapp sieben Wochen nach Hamas-Angaben auf fast 15.000 gestiegen. Mehr als 36.000 Menschen seien verletzt worden, teilte die Regierungspressestelle der Islamisten in Gaza am Donnerstagabend mit. Der Großteil von ihnen seien Kinder, Jugendliche und Frauen. Tausende Menschen würden zudem weiter vermisst. Die Zahlen lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.
Auslöser des jüngsten Gaza-Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze zum Gazastreifen begangen haben. Auf israelischer Seite wurden mehr als 1200 Menschen getötet, darunter mindestens 850 Zivilisten. Etwa 240 Geiseln wurden nach Gaza verschleppt, darunter mehrere Deutsche.
Gemäß der Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas sollen innerhalb von vier Tagen insgesamt 50 Geiseln freikommen. Insgesamt sieht die zwischen beiden Konfliktparteien getroffene Vereinbarung einen Austausch von bis zu 100 Geiseln aus Israel gegen bis zu 300 palästinensische Häftlinge vor.
Hunderte Palästinenser wollen in den Norden Gazas
Unterdessen machten sich Augenzeugenberichten zufolge Hunderte palästinensische Binnenflüchtlinge auf den Weg, um in ihre Wohnorte zurückzukehren. Die Menschen wollten etwa in der Stadt Gaza und in anderen Teilen des nördlichen Gazastreifens nach ihren Häusern oder Wohnungen sowie ihren Angehörigen sehen, hieß es am Morgen. Das israelische Militär warnte jedoch, es sei verboten, sich vom Süden in den Norden des Küstengebiets zu begeben.
Die israelische Armee hatte bereits vor Beginn der Feuerpause gewarnt, der Krieg sei nicht vorbei. Der nördliche Gazastreifen sei weiterhin eine «gefährliche Kriegszone» und es sei verboten, sich dort hin- und herzubewegen. Palästinenser sollten in einer «humanitären Zone» im Süden des Küstenstreifens verbleiben. Es sei aber weiterhin für Zivilisten möglich, sich vom Norden in den Süden zu bewegen. Das israelische Fernsehen berichtete, es sollten notfalls «Mittel zur Auflösung von Demonstrationen» eingesetzt werden, um Menschen daran zu hindern, vom Süden in den Norden zu kommen.
Augenzeugen berichteten am Morgen, über dem südlichen Teil des Gazastreifens habe die israelische Luftwaffe ihre Flüge gestoppt. Tausende israelische Soldaten befinden sich indes auch während der Feuerpause weiterhin im Norden des abgeriegelten Küstengebiets.
Was am Freitag wichtig wird
Um 15.00 Uhr deutscher Zeit wird die Freilassung der ersten israelischen Geiseln erwartet. Mit der Waffenruhe sollen größere Hilfslieferungen in den Gaza-Streifen kommen.