Nach dem Einmarsch ukrainischer Soldaten in der russischen Grenzregion Kursk sieht sich nun auch das benachbarte Gebiet Belgorod unter Druck.
14.08.2024 - 10:31:07Auch russische Region Belgorod verhängt Ausnahmezustand. Die Kämpfe haben immer größere Folgen.
Im umkämpften russischen Grenzgebiet zur Ukraine hat auch die Region Belgorod den Ausnahmezustand verhängt. Die Lage in der Region bleibe ziemlich schwierig und angespannt, sagte Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow. Zuvor hatte nach dem Einmarsch ukrainischer Truppen das Gebiet Kursk einen Notstand von nationaler Bedeutung ausgerufen, eine Stufe höher als in Belgorod. Das Kampfgeschehen war nach Angaben von Beobachtern weiter sehr dynamisch mit sich immer wieder ändernden Lagen, wie auch das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington feststellte.
Die Region Belgorod meldete wie Kursk und andere Gebiete erneut Drohnen- und auch Raketenbeschuss von ukrainischer Seite. Das russische Verteidigungsministerium sprach von 117 abgewehrten Drohnenattacken und 4 zerstörten taktischen Raketen. Auch russische Militärflugplätze sollen angegriffen worden sein. Die Angaben waren nicht unabhängig überprüfbar.
Ausnahmezustand soll Mittelfreigabe ermöglichen
Belgorod wird schon seit langem von ukrainischer Seite angegriffen. Im vergangenen Jahr rückten dort zeitweise selbst ernannte Freiwilligenverbände ein, in denen auch Russen auf ukrainischer Seite kämpfen. In der vergangenen Woche hatten sich ukrainische Soldaten kurzzeitig im Dorf Poros im Gebiet Belgorod aufgehalten, das an die Region Kursk grenzt, und dort ein Video mit einer Flagge aufgenommen. Gladkow berichtete nach einem Besuch in der Region, dass Bewohner aus dem Ort gerettet und die Uniformierten wieder abgezogen seien.
Es gebe täglich Beschuss von ukrainischer Seite, sagte Gladkow. Es gebe Tote und Verletzte unter den Zivilisten und zerstörte Häuser. Der Ausnahmezustand ermögliche nun, zusätzliche Mittel freizugeben für den Schutz der Bevölkerung.
Ukraine wehrt neue russischen Drohnenangriffe ab
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte mit Blick auch auf Kiews Bodenoffensive im Raum Kursk erklärt, dass Russland selbst den Krieg zu spüren bekommen solle. Kiew setzt für die Angriffe, die Teil des Verteidigungskampfes gegen den russischen Angriffskrieg sind, vor allem Drohnen und Raketen aus eigener Produktion ein. Die ukrainische Flugabwehr meldete erneut zahlreiche Drohnenangriffe von russischer Seite. Demnach wurden 17 von 23 Attacken abgewehrt.
Die ukrainischen Streitkräfte greifen seit dem 6. August in der russischen Region Kursk mit einer großen Bodenoffensive an. Nach Angaben Selenskyjs sind von der Armee inzwischen 74 Ortschaften im Gebiet Kursk eingenommen worden - doppelt so viele wie von russischer Seite angegeben. Überprüfbar sind beide Angaben nicht. Das ISW teilte mit, dass es eine solche Zahl an Eroberungen nicht bestätigen könne, aber womöglich auch eine andere Berechnungsgrundlage habe, weil es dort viele kleine Gehöfte gebe. Dort war von etwa 40 Ortschaften die Rede, die unter ukrainischer Kontrolle seien.
Russland zieht Abstimmung für Regionalwahlen vor
Für die russische Führung kommen die Kämpfe zur Unzeit, weil in vielen Regionen des Landes vom 6. bis 8. September Wahlen angesetzt sind. Gewählt werden Gouverneure und regionale Parlamente. Die zentrale Wahlleitung in Moskau entschied, dass Bürger in den Grenzgebieten nun schon vorzeitig und ab sofort abstimmen können, darunter in den Regionen Kursk, Belgorod und Brjansk. Im Gebiet Kursk etwa steht der geschäftsführende Gouverneur Alexej Smirnow zur Wahl. Besonders hart umkämpft sind Stadt und Kreis Sudscha, wo ebenfalls Wahlen der kommunalen Parlamente geplant sind.
Der stellvertretende Wahlleiter Nikolai Balujew sagte in Moskau, dass die Wahlberechtigten durch die erweiterten Möglichkeiten selbst entscheiden könnten, wo sie ihre Stimme abgeben – also etwa auch in Notunterkünften. Nach russischen Behördenangaben sind mehr als 120 000 Menschen auf der Flucht vor den Kämpfen. Für sie wurden Hunderte Notunterkünfte eingerichtet.
Litauen: Russland verlegt Truppen aus Kaliningrad nach Kursk
Als Reaktion auf den Einmarsch der Ukraine in die Region Kursk verlegt Russland nach Angaben des litauischen Verteidigungsministers Laurynas Kasciunas einen Teil seiner Truppen aus seiner Ostsee-Exklave Kaliningrad. «Sie brauchen mehr Ressourcen und versuchen, diese aus anderen Bereichen abzuziehen», sagte Kasciunas der baltischen Agentur BNS. Nähere Angaben machte er nicht. Kaliningrad liegt zwischen den EU- und Nato-Ländern Polen und Litauen. Von russischer Seite gab es keine Angaben dazu.
Nach Einschätzung von Kasciunas hat der Vormarsch eine hohe symbolische Bedeutung für die Ukraine. «Zuallererst ist es ein moralischer Auftrieb, der natürlich sehr wichtig ist», sagte er. Die Ukraine wehrt sich seit fast zweieinhalb Jahren gegen die russische Invasion und hat den Kampf erstmals mit eigenen Truppen auf feindliches Gebiet verlagert. Kasciunas hatte am Dienstagabend in Kiew Selenskyj getroffen.
Serie russischer Angriffe in der Ostukraine
Während die ukrainische Offensive in der russischen Region Kursk viel Aufsehen erregt, intensiviert die russische Armee ihre Angriffe auf die Ostukraine. Dort kommt es erneut zu schweren Kämpfen.
Besonders intensiv waren die Angriffe auf die ukrainischen Stellungen in der Nähe von Pokrowsk etwa 60 Kilometer nordwestlich von Donezk, wie der Generalstab in Kiew in seinem Lagebericht mitteilte. Insgesamt seien 54 Vorstöße russischer Einheiten registriert worden. Dabei wurden die Bodentruppen auch von Luftangriffen unterstützt.
Auch bei Torezk 75 Kilometer nördlich von Donezk lieferten sich russische Angreifer und ukrainische Verteidiger Gefechte. Auch hier gab es russische Luftangriffe. Gekämpft wird weiterhin in der Gegend um die Großstadt Charkiw. Dort kam es zu 13 Gefechten an verschiedenen Orten. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.