In Kairo beraten Staats- und Regierungschefs der Nahostregion sowie Vertreter der UN und westlicher Staaten über den Gaza-Krieg.
21.10.2023 - 11:59:27Al-Sisi: «Die Menschen der Welt schauen auf uns». Israel ist nicht dabei und war - nach eigenen Angaben - nicht eingeladen.
Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat den Krieg in Nahost bei einem Gipfeltreffen als «beispiellose Krise» bezeichnet. «Die Menschen der Welt schauen heute genau auf uns», sagte Al-Sisi zur Eröffnung des «Gipfels für den Frieden» in der neuen Verwaltungshauptstadt östlich von Kairo. Er bedauere das kollektive Schweigen der Weltgemeinschaft während 1,5 Millionen Menschen im Gazastreifen «belagert, kollektiv bestraft und gewaltsam vertrieben» würden, sagte Al-Sisi.
An dem Gipfel nehmen auf Einladung Ägyptens mehrere Staats- und Regierungschefs der Nahostregion sowie Vertreter der UN und westlichen Staaten teil. Für Deutschland nimmt Außenministerin Annalena Baerbock teil. Israel ist nicht dabei und war nach eigenen Angaben auch nicht eingeladen worden. Ägypten hat in dem Konflikt eine wichtige Vermittlerrolle.
UN-Chef Guterres fordert humanitäre Feuerpause
UN-Generalsekretär António Guterres forderte unterdessen eine humanitäre Feuerpause im Gazastreifen. Er nannte drei unmittelbare Ziele: die ungehinderte humanitäre Hilfe für die Zivilisten im Gazastreifen, die sofortige und bedingungslose Freilassung aller aus Israel entführten Geiseln und engagierte Bemühungen, die Gewalt einzudämmen, um eine Ausweitung des Konflikts zu verhindern. An dem «Gipfel für den Frieden» in Kairo nahmen UN-Generalsekretär António Guterres, mehrere Staats- und Regierungschef sowie Minister teil.
Guterres blickte aber auch weiter in die Zukunft: Der Konflikt könne nur mit einer Zweistaatenlösung befriedet werden, einen für Israelis und einen für Palästinenser. «Die Zeit zum Handeln ist gekommen, handeln, um diesen schrecklichen Alptraum zu beenden», sagte er.
Spaniens Regierungschef Sánchez fordert Waffenstillstand
Auch der spanische Regierungschef Pedro Sánchez fordert einen Waffenstillstand. «Wir müssen alle Zivilisten schützen, sowohl die Geiseln, die zu ihren Familien zurückkehren müssen, als auch diejenigen, die im Gazastreifen leiden», sagte der Sozialist. «Und der einzige Weg, dies zu erreichen, ist mehr humanitäre Hilfe und ein humanitärer Waffenstillstand.
Sánchez, dessen Land noch bis Jahresende turnusgemäß die halbjährige EU-Ratspräsidentschaft innehat sagte, die Annahme der internationalen Gemeinschaft, sie könne mit dem Konflikt leben, ohne ihm viel Aufmerksamkeit zu schenken, habe sich als falsch erwiesen.
«Wir dürfen eine Lösung nicht länger aufschieben und wenn der politische Wille vorhanden ist, gibt es eine Zukunft», sagte er. Ziel müsse die Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung sein. Die internationale Gemeinschaft müsse alles dafür tun, «die Grundlagen dafür zu schaffen, dass Israel und Palästina einander respektieren und in Frieden koexistieren können».
Baerbock: Zwischen Terroristen und Zivilbevölkerung unterscheiden
Außenministerin Annalena Baerbock sicherte Israel volle Solidarität im Kampf gegen den Hamas-Terror zu, die internationale Gemeinschaft aber zugleich zu mehr Unterstützung für die notleidende Bevölkerung im Gazastreifen aufgerufen. «Für Deutschland ist die Sicherheit des Staates Israel nicht verhandelbar», sagte die Grünen-Politikerin. «Klar ist auch, dass die Täter dieses Terrors nicht für das palästinensische Volk sprechen. Sie sprechen nur für sich selbst. Sie sprechen die Sprache des Terrors.»
Baerbock rief dazu auf, «jederzeit zwischen Terroristen und der Zivilbevölkerung zu unterscheiden.» Hass dürfe nicht geschürt werden, denn genau das wollten die Hamas und deren Unterstützer, um eine weitere regionale Eskalation zu erreichen. «Dieser Terrorplan darf nicht aufgehen», sagte die Bundesaußenministerin. Der Kampf gegen die Hamas müsse mit größtmöglicher Rücksichtnahme auf die humanitäre Lage geführt werden, forderte die Ministerin.
EU ruft zu Friedensbemühungen auf
Auch EU-Ratspräsident Charles Michel rief alle Teilnehmer zu Friedensbemühungen auf. Jeder und jede habe die Verantwortung und Pflicht zusammenzuarbeiten, um eine regionale Eskalation zu verhindern und den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen, sagte der Belgier. Es müsse eine nachhaltige Lösung für den Konflikt gefunden werden, die auf einer Zweistaatenlösung beruhe.
«Wir sind der Ansicht, dass auch die Stärkung der Palästinensische Autonomiebehörde unterstützt werden muss, die den legitimen Bestrebungen des palästinensischen Volkes entspricht», erklärte Michel.
Zu den aktuellen israelischen Angriffen auf die islamistische Hamas im Gazastreifen sagte Michel, aus Sicht der EU sei es wichtig, die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur zu schützen. Zugleich bekräftige er das Recht Israels, sich im Einklang mit dem Völkerrecht und dem humanitären Völkerrecht gegen den Terror der Hamas zu verteidigen. Michel hielt sich damit an eine Sprachregelung, die die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten vor rund einer Woche vereinbart hatten. Sie sieht keine Forderung nach einer Waffenruhe vor.
Abbas: «Wir werden niemals unser Land verlassen»
Nach den Worten von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas wird die palästinensische Bevölkerung bis zum Schluss ausharren. «Wir werden niemals gehen. Wir werden niemals unser Land verlassen. Wir werden aufrecht auf unserem Land stehen bis zum Ende», sagte Abbas in Kairo auf dem Gipfel. Das «wehrlose palästinensische Volk» müsse jetzt einen heftigen Krieg durchstehen. «Der Strudel der Gewalt erneuert sich ständig, weil es an Rechten für die Palästinenser mangelt und diese vernachlässigt werden.»
Eine Region am Abgrund
Er bedauere die gewaltsame Vertreibung «unserer Brüder und Schwestern in Palästina» bis zur Sinai-Halbinsel in Ägypten, sagte Al-Sisi. «Wir sollten niemals glauben, dass die Palästinenser ihr Land verlassen wollen - selbst wenn sie bombardiert werden.»
«Die Katastrophe drängt eine gesamte Region in einen Abgrund», sagte Jordaniens König Abdullah II. «Je mehr die Krise an Grausamkeit gewinnt, desto weniger scheint es die Welt zu interessieren.» Anderswo würde verurteilt, wenn einer gesamten Bevölkerung der Zugang zu Essen, Wasser, Strom und lebensnotwendigen Gütern verwehrt würde - aber «nicht in Gaza». Der Krieg müsse sofort beendet und der Schutz von Zivilisten gesichert werden. «Israel muss einsehen, dass es für seine Sicherheitsbedenken keine militärische Lösung gibt.»
Die islamistische Hamas war am 7. Oktober mit Hunderten Terroristen in israelische Grenzorte eingedrungen und hatte ein Massaker mit 1400 Todesopfern angerichtet. Gut 200 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt, darunter Deutsche.
Israel verhängte nach den Hamas-Angriffen eine Blockade des Gazastreifens und bombardiert dort seither Ziele. Bei den Angriffen starben nach jüngsten Angaben des von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen mindestens 4137 Menschen.