Im Gaza-Krieg wachsen Zweifel an einer baldigen Feuerpause und der Freilassung von Geiseln.
04.03.2024 - 05:31:30Einigung auf Feuerpause in Gaza auf der Kippe. Will der Hamas-Anführer in Gaza, Jihija al-Sinwar, die stockenden Verhandlungen sabotieren? Der Überblick.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verlangt vor weiteren Verhandlungen über eine Feuerpause und die Freilassung weiterer Geiseln im Gaza-Krieg ein Einlenken der Hamas. Erst müsse die Islamisten-Organisationen wie gefordert eine Liste mit den Namen der noch lebenden Geiseln in ihrer Gewalt vorlegen, sagte der rechte Regierungschef am Sonntagabend in einer Ansprache in Tel Aviv.
Am selben Tag trafen Delegationen der Hamas und der Vermittlerstaaten USA und Katar in Kairo zu einer weiteren Gesprächsrunde ein. Israel dagegen hat vorerst keine Delegation entsandt. Dass derweil Benny Gantz, Minister in Israels Kriegskabinett, ohne Netanjahus Zustimmung zu Gesprächen nach Washington reiste, sorgte laut israelischen Medien intern für scharfe Kritik.
Gantz drängt auf ein Abkommen und hat erklärt, die Freilassung der Geiseln sei dringlicher und wichtiger als die von Netanjahu zum Ziel erklärte Zerschlagung der Hamas.
Netanjahu: Werden vor Forderungen nicht kapitulieren
Es sei zu früh zu sagen, ob es in den nächsten Tagen ein Konzept für einen Deal geben werde, sagte Netanjahu. «Wir unternehmen große Anstrengungen, um erfolgreich zu sein, aber eines ist Ihnen klar - wir werden vor den wahnhaften Forderungen der Hamas nicht kapitulieren», bekräftigte der innenpolitisch in der Geiselfrage unter Druck stehende Regierungschef.
Er will zunächst auch wissen, ob die Hamas der im letzten Vorschlag der Vermittler genannten Zahl an palästinensischen Häftlingen zustimmt, die im Austausch gegen Geiseln freizulassen wären. Er habe noch keine Antwort auf seine Fragen bekommen, sagte Netanjahu und wies «den internationalen Druck zurück, den Krieg zu beenden», bevor Israel alle seine Ziele erreicht habe.
In Medienberichten hatte es zuletzt geheißen, 40 Geiseln könnten gegen 400 Palästinenser in israelischen Gefängnissen ausgetauscht werden.
Bericht: Hamas-Anführer will Verhandlungen sabotieren
Örtlichen Medienberichten zufolge gibt es in israelischen Kreisen Zweifel, ob ein Abkommen über eine Geisel-Freilassung und eine Feuerpause noch vor dem für Muslime heiligen Fastenmonat Ramadan, der um den 10. März beginnt, zustande kommt. Der Anführer der Hamas im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, versuche absichtlich, die Verhandlungen zu sabotieren, um während des Ramadan Unruhen im gesamten Nahen Osten zu provozieren, zitierte die israelische Nachrichtenseite «Ynet» einen ranghohen israelischen Beamten.
«Sinwar zieht es vor, die Spannungen im Nahen Osten zu verschärfen und während des Ramadans Blutvergießen und Chaos im Gazastreifen zu verursachen, anstatt die Alternative einer sechswöchigen Waffenruhe und humanitärer Hilfe zu wählen, die das Leiden der lokalen Bevölkerung im Gazastreifen erheblich lindern würde», sagte der Beamte.
Bericht: Israelischer Minister will Ende der Geisel-Deal-Verhandlungen
Israels rechtsextremer Polizeiminister Itamar Ben-Gvir hat einem israelischen Medienbericht zufolge ein Ende der Verhandlungen über die Freilassung der noch immer im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln gefordert. Seine Partei halte es für erforderlich, die Einstellung der Gespräche, in denen es auch um eine befristete Feuerpause im Gaza-Krieg geht, anzuordnen, sagte der Politiker nach Angaben der Zeitung «Haaretz» am Montag bei einem Treffen seiner Partei. Es sei stattdessen notwendig, in «eine neue Phase intensiver Kämpfe» überzugehen, zitierte das Blatt Ben-Gvir, der auch Minister für nationale Sicherheit ist, weiter.
Ranghohe Gespräche in Washington
Israels Verteidigungsminister Joav Galant hatte erst kürzlich gesagt, die Hamas wolle den Krieg vom Gazastreifen ins Westjordanland tragen. «Das Ziel der Hamas ist es, Judäa und Samaria (hebräisch für Westjordanland) anzuzünden, und wenn möglich auch noch den Tempelberg (in Jerusalem)». Laut Nachrichtenportal «Axios» drängt US-Präsident Joe Biden Ägypten und Katar dazu, die Hamas noch vor dem Ramadan zu einer vorübergehenden Feuerpause zu bewegen.
Die drei Vermittlerstaaten seien sich einig, dass ein Zustandekommen einer Einigung derzeit an der Hamas hänge. Die Hamas fordert einen umfassenden Waffenstillstand. Der Vermittlervorschlag sieht nach US-Angaben lediglich eine sechswöchige Feuerpause vor. Ein namentlich nicht genannter israelischer Beamter wurde von «Axios» mit den Worten zitiert, er schätze die Chancen für eine Einigung auf 50 zu 50.
Unterdessen traf Gantz, Mitglied im israelischen Kriegskabinett, in Washington ein, wo er heute US-Vizepräsidentin Kamala Harris und den nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan treffen will. Gantz hatte im Januar gesagt: «Die dringendste Angelegenheit ist die Rückführung der Geiseln, sie ist wichtiger als alle Elemente des Kampfes.»
Am Dienstag will der israelische Politiker laut Medienberichten mit US-Außenminister Antony Blinken zusammentreffen. Am selben Tag wird «Axios» zufolge auch Katars Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani in Washington erwartet.
Harris nennt Lage in Gaza «humanitäre Katastrophe»
US-Vizepräsidentin Harris bezeichnete die Bedingungen für die Menschen in dem seit nunmehr rund fünf Monaten umkämpften Gazastreifen als unmenschlich und sprach von einer humanitären Katastrophe. «Unser Herz bricht (...) für all die unschuldigen Menschen in Gaza, die unter dem leiden, was eindeutig eine humanitäre Katastrophe ist», sagte Harris in Selma im US-Bundesstaat Alabama.
«Die Menschen in Gaza hungern, die Bedingungen sind unmenschlich.» Harris forderte Israels Regierung auf, deutlich mehr Hilfe in das abgeriegelte Küstengebiet zu lassen und neue Grenzübergänge zu öffnen.
Israels Armee meldet weitere Tote bei Einsätzen
Derweil setzt das israelische Militär den Kampf gegen die Hamas fort und tötete nach eigenen Angaben nun ein für die Rekrutierung von Terroristen zuständiges prominentes Mitglied der Islamisten. Wie die Armee am Sonntagabend bekannt gab, sei Mahmoud Muhammad Abd Khad auch an der Beschaffung von Geldern für den Terrorismus und zur Unterstützung der militärischen Aktivitäten der Hamas beteiligt gewesen.
Zuvor hatte die Armee mitgeteilt, dass im nördlichen Gaza «mehr als 100 Terroristen» getötet worden seien. Zudem seien 35 Einrichtungen der Hamas und des Islamischen Dschihad, darunter Waffenlager und Produktionsanlagen, zerstört worden. «Dutzende Terroristen» seien festgenommen worden. Sämtliche Angaben des israelischen Militärs konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Auslöser des Gaza-Krieges war der Terror-Überfall der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres im Süden Israels. Die Terroristen töteten bei dem beispiellosen Massaker 1200 Menschen und verschleppten 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen: Israel griff das Küstengebiet militärisch an, um die Hamas zu zerschlagen. Dabei kamen nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde in Gaza bisher 30.410 Palästinenser ums Leben, wobei diese Zahl sowohl Zivilisten als auch Kämpfer enthält.
Israels Militär: Wieder Hisbollah-Stellungen angegriffen
Unterdessen griff das israelische Militär im Süden Libanons nach eigenen Angaben erneut Stellungen der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz an. Kampfflugzeuge hätten eine Militäranlage der Schiiten-Miliz in der Gegend von Aita asch-Scha'b und terroristische Infrastruktur in der Gegend des libanesischen Grenzortes Kfarkela getroffen, teilte die Armee mit.
Im Laufe des Tages habe es eine Reihe von Raketenabschüssen aus dem Libanon in Richtung Nordisrael gegeben. Auch diese Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden. Seit Beginn des Gaza-Krieges kommt es in der israelisch-libanesischen Grenzregion immer wieder zu gegenseitigem Beschuss. Israels Verteidigungsminister Galant kündigte kürzlich an, den militärischen Druck auf die Hisbollah zu erhöhen, bis sich die Schiiten-Miliz von der Grenze zu Israel zurückgezogen habe.
Containerschiff vor der Küste Jemens angegriffen und beschädigt
Vor der Küste Jemens ist erneut ein Containerschiff angegriffen und beschädigt worden. Wie die Stelle der britischen Marine für Handelsschifffahrt UKMTO mitteilte, gab es bei dem Vorfall südöstlich der Hafenstadt Aden zwei Explosionen. Nachdem sich die Erste mit einigem Abstand zu dem Schiff ereignet habe, sei das Schiff durch die zweite beschädigt worden. An Bord brach demnach ein Feuer aus. Der Fall werde von der westlichen Allianz zum Schutz der Handelsschifffahrt untersucht, so die Mitteilung weiter. Berichte über Tote oder Verletzte gab es zunächst keine.
Dem Informationsdienst Ambrey zufolge soll es sich um ein Schiff handeln, das unter der Flagge Liberias fährt und von Singapur nach Dschibuti unterwegs war. Demnach wurde das Schiff zumindest in der Vergangenheit von einer israelischen Reederei eingesetzt.
Wer hinter dem jüngsten Angriff steckte, war zunächst nicht klar. In den vergangenen Wochen und Monaten hatte jedoch immer wieder die islamistische Huthi-Miliz im Jemen zivile Handelsschiffe ins Visier genommen.