Die Regierung in Damaskus hat ein «Syrien für alle» versprochen.
14.07.2025 - 16:20:27Rund 90 Tote nach neuer Gewalt in Syrien. Die wiederkehrende Gewalt zwischen konfessionellen Gruppen zeigt, dass der Weg dorthin weit ist. Im Süden kommt es zu neuen Kämpfen.
In Syrien sind trotz der Bemühungen um mehr Stabilität bei erneuten Unruhen Dutzende Menschen ums Leben gekommen. In der südlichen Provinz Suwaida wurden mindestens 89 Menschen bei Zusammenstößen bewaffneter Gruppen getötet, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte. Darunter seien 50 Angehörige der drusischen Minderheit, 18 Beduinen und 14 Regierungssoldaten. Dutzende Menschen seien zudem verletzt worden, einige davon lebensgefährlich. Unter den Opfern seien auch Kinder.
Das syrische Innenministerium berichtete zunächst von mehr als 30 Todesopfern und rund 100 Verletzten in mehreren Gemeinden. Die Regierung von Präsident Ahmed al-Scharaa hat seit dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad vor rund einem halben Jahr die Kontrolle in Damaskus übernommen. Sie ist bemüht, Stabilität herzustellen in dem Land, in dem mehr als zehn Jahre lang ein Bürgerkrieg tobte.
Die Zusammenstöße aus der Nacht gingen auch im Laufe des heutigen Tages weiter. Es sei «kein unmittelbares Ende in Sicht», teilte die Beobachtungsstelle mit. Diese verfolgt von London aus das Konfliktgeschehen in Syrien mit einem Netzwerk aus Aktivisten.
Unruhen seit Raubüberfall auf drusischen Jugendlichen
Laut Beobachtungsstelle begannen die Unruhen vor einigen Tagen durch einen Raubüberfall auf einen drusischen Jugendlichen auf der Schnellstraße zwischen Damaskus und Suwaida. Angehörige örtlicher Stämme errichteten demnach einen Kontrollpunkt, an dem sie den jungen Mann gestoppt haben sollen, brutal schlugen und ausraubten. Daraufhin hätten drusische Kämpfer ihrerseits Beduinen entführt, was in der Gegend schließlich zu Gewalt geführt habe.
Das Verteidigungsministerium schickte Militäreinheiten, um die Gewalt zu beenden. Die Truppen kämpften dabei an der Seite der Beduinen, teilte die Beobachtungsstelle mit, die von Mörserbeschuss und Drohnenangriffen berichtete.
Ziel des Militäreinsatzes sei es, «Zivilisten nach 48 Stunden des Blutvergießens» zu beschützen, teilte das Ministerium mit. Man werde alle Bemühungen unternehmen, um «verbotene Gruppen» zu entwaffnen und die staatliche Autorität wiederherzustellen. «Die Wiederherstellung von Sicherheit und Stabilität in Suwaida ist eine gemeinsame Verantwortung zwischen dem Staat und seinen Bürgern.» Man arbeite mit den Drusenführern und dem Gouverneur Suwaidas daran, die Lage zu beruhigen.
Israels Militär greift Panzer in der Region an
Die Kämpfe heizten auch den Konflikt mit dem benachbarten Israel neu an. Israels Militär griff in der Region nach eigenen Angaben mehrere Panzer an. Die Kampffahrzeuge hätten sich auf die Stadt Suwaida zubewegt, der Angriff sollte das verhindern, teilte das israelische Militär später mit. Die Präsenz derartiger Waffensysteme im Süden Syriens könne «eine Bedrohung für den Staat Israel darstellen», hieß es weiter.
Ob Israels Angriff direkt mit dem Ausbruch neuer Gewalt in der Gegend im Zusammenhang stand, blieb zunächst unklar. Israel greift häufiger Ziele in dem Nachbarland an und hatte schon nach der tödlichen Gewalt zwischen sunnitischen Milizen und drusischen Kämpfern Ende April eingegriffen – nach eigenen Angaben zur Unterstützung der Drusen in Syrien.
Die Angehörigen dieser religiösen Minderheit leben neben Syrien vor allem in Israel, Jordanien und im Libanon. In Israel dienen viele Drusen freiwillig in der Armee – der jüdische Staat sieht sie als Verbündete.
Neue Regierung hatte «Syrien für alle» versprochen
Syrien ist auch nach dem Sturz Assads im Dezember gespalten und von einer Aussöhnung seiner Volksgruppen und von dauerhafter Stabilität weit entfernt. Die unterschiedlichen religiösen Traditionen von sunnitischen Muslimen, Alawiten, Drusen und Jesiden prägen die Spannungen im Land.
Die neue Regierung hat dem Land mit seinen rund 23 Millionen Einwohnern ein «Syrien für alle» versprochen. Der Schutz von Minderheiten wird auch international kritisch verfolgt. Seit Antritt der neuen Regierung kam es aber wiederholt zu teils konfessioneller Gewalt mit teilweise Hunderten Toten, was weiterhin Ängste schürt.
Vor drei Wochen hatte eine zuvor weitgehend unbekannte Dschihadistengruppe einen Selbstmordanschlag auf eine Kirche in Damaskus für sich reklamiert, bei dem mindestens 25 Menschen getötet und mehr als 60 weitere verletzt wurden. Die Gruppe Saraja Ansar al-Sunna drohte mit weiteren Anschlägen.
Die außenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cansu Özdemir, forderte, dass es angesichts der neuen Gewalt keine Abschiebungen nach Syrien geben dürfe. Syrien zählt seit Jahren zu den wichtigsten Herkunftsländern von Menschen, die in Deutschland Schutz suchen.