Der Versorgung der Menschen im Gazastreifen droht der Kollaps.
19.10.2023 - 05:02:01Hoffen auf Grenzöffnung nach Klinik-Explosion. Israel will nun Ägypten erlauben, in begrenztem Umfang humanitäre Hilfe zu liefern.
Nach dem Raketeneinschlag bei einer Klinik im Gazastreifen mit möglicherweise Hunderten Toten mehren sich Anzeichen für eine Öffnung des ägyptischen Grenzübergangs für humanitäre Güter.
Ägypten sicherte nach Angaben von US-Präsident Joe Biden zu, zunächst bis zu 20 Lastwagen über den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen zu lassen. Israel, das den Küstenstreifen abgeriegelt hat und dort die islamistischen Hamas-Angreifer bombardiert, versprach, humanitäre Hilfslieferungen aus Ägypten nicht zu behindern. Es hatte die Menschen in Gaza aufgerufen, sich in den Süden zu begeben.
Nach UN-Angaben sind inzwischen rund eine Million Menschen dorthin geflohen, Israels Armee spricht von rund 600.000. Rafah, am Südrand der Küstenenklave, gilt als der einzige Weg, die dringend benötigte Hilfe in den Gazastreifen zu bringen. In der Nacht war jedoch noch unklar, wann genau der Grenzübergang geöffnet wird.
UN-Nothilfekoordinator fordert sofortigen Zugang zum Gazastreifen
«Was wir dringend brauchen, ist ein sofortiger, sicherer Zugang für humanitäre Hilfe im gesamten Gazastreifen», forderte UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths. Er wies auf die sich weiter verschlechternde Lage in Gaza hin: «Die Zerstörung des Krankenhauses gestern hat den Druck auf dieses bröckelnde, angeschlagene und traurige Gesundheitssystem weiter erhöht», sagte er am Mittwoch (Ortszeit) bei einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats.
Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde hatte für die Explosion an der Al-Ahli-Klinik umgehend Israel verantwortlich gemacht, arabische Nachbarstaaten schlossen sich dem an. Vor allem in arabischen und islamischen Ländern, aber auch in Deutschland kam es zu wütenden anti-israelischen Demonstrationen. Israel wies eine Schuld entschieden zurück und sprach vom Einschlag einer verirrten Rakete der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bewertete den Raketeneinschlag als Bruch des Völkerrechts - vermied aber eine direkte Schuldzuweisung. «Ich verurteile die Täter hinter diesem Angriff, der ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt und als Völkermord an den Menschen in Gaza einzustufen ist», schrieb Erdogan am Mittwoch auf der Online-Plattform X (ehemals Twitter).
Israel hatte eine Schuld an der Explosion am Krankenhaus in Gaza entschieden zurückgewiesen und sprach vom Einschlag einer verirrten Rakete der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad.
Biden: Hilfsgüter dürfen nicht an Hamas gelangen
US-Präsident Biden sagte unterdessen auf seiner Rückreise von seinem Besuch in Israel, er habe mit dem ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi telefoniert. Dieser habe zugesagt, «für den Anfang» zunächst «bis zu 20 Laster» über den geschlossenen Grenzübergang Rafah zu lassen. Danach könnten möglicherweise weitere Lieferungen folgen. Biden betonte aber, sollte die in Gaza herrschende Hamas Lieferungen konfiszieren, «dann hört es auf». Vertreter der Vereinten Nationen würden sich auf der Gaza-Seite um die Verteilung der Güter kümmern.
Nach Berichten von vor Ort wurde der Grenzübergang Rafah durch israelischen Beschuss beschädigt und muss nun repariert werden. Nach ägyptischen Angaben stehen dort rund 3000 Tonnen Hilfsgüter für die eingeschlossenen Menschen bereit. Laut Biden sind Reparaturen an der Straße nötig. Vor Freitag sei die Lieferung daher nicht zu erwarten. Kurz nach dem Treffen mit Biden hatte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu gesagt, sein Land werde humanitäre Hilfe wie Lebensmittel, Wasser und Medikamente nach Gaza nicht behindern. Er machte aber auch deutlich: «Jede Lieferung, die zur Hamas gelangt, wird verhindert.»
UN-Nothilfekoordinator Griffiths wies auf die extreme Wasserknappheit für die Menschen im Gazastreifen hin. Sie seien zunehmend gezwungen, sich aus unsicheren Quellen zu versorgen, wodurch die Bevölkerung dem Risiko von durch Wasser übertragenen Krankheiten ausgesetzt sei.
Russland liefert 27 Tonnen Hilfsgüter für Gazastreifen
Russland liefert nach Angaben des Zivilschutzministeriums in Moskau 27 Tonnen Hilfsgüter für den Gazastreifen. Ein Flugzeug des Typs Iljuschin Il-76 startete mit der Ladung vom Flughafen Ramenskoje bei Moskau, wie das Ministerium mitteilte. Veröffentlicht wurde auch ein Video.
Demnach hatte Kremlchef Wladimir Putin die Fracht angewiesen. Sie werde in Ägypten an die Organisation Roter Halbmond übergeben. Geliefert würden Lebensmittel wie Mehl, Zucker, Reis und Nudeln. Unklar war zunächst, wann die Hilfslieferungen über die Grenze gebracht werden können.
Nach Biden reist auch Sunak nach Israel
Der britische Premierminister Rishi Sunak reiste zu einem Kurzbesuch nach Israel. Er traf den israelischen Präsidenten Izchak Herzog. Sunak sicherte dem Land erneut seine Solidarität zu. «Wir werden an der Seite Israels stehen», sagte Sunak. Der 43-Jährige betonte das Recht Israels auf Selbstverteidigung. Israel habe nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die Sicherheit für das Land wiederherzustellen.
Nach Angaben der britischen Regierung sprachen die beiden etwa auch über die Geiseln, die sich in Gefangenschaft der islamistischen Hamas befinden, und über humanitäre Hilfe für Gaza.
Israels Armee: Mehrere führende Mitglieder von Terrorgruppen getötet
Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben bei den Angriffen im Gazastreifen mehrere führende Mitglieder verschiedener Terrororganisationen getötet. Darunter sei auch der Chef des militärischen Arms der Gruppe Volkswiderstandskomitees. Diese steht der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Palästinenserorganisation Hamas nahe.
Außerdem seien mehrere Terroristen von den Hamas-Kräften getötet worden, die an dem Massaker in israelischen Grenzorten am 7. Oktober beteiligt gewesen seien. «Mehr als zehn Terroristen wurden bei dem gezielten Luftangriff getroffen», hieß es in der Mitteilung.
Bei den Luftangriffen wurde nach palästinensischen Medienberichten auch das einzige weibliche Mitglied des Hamas-Politbüros getötet. Die israelische Armee teilte mit, sie prüfe die Berichte. Die 68-jährige Dschamila al-Schanti wurde den Berichten zufolge bei einem Luftangriff getötet. Sie war die Witwe des Hamas-Führers Abdel Asis Rantisi, der im April 2004 von der israelischen Armee gezielt getötet worden war.
Hamas-Ministerium spricht von mehr als 3500 Toten in Gaza
Die Zahl der getöteten Palästinenser im Gazastreifen ist seit Beginn des Krieges am 7. Oktober nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza auf mehr als 3500 gestiegen. Die Zahl der Verletzten liege bei rund 13.000. Das Gesundheitsministerium in Gaza wird von der islamistischen Hamas kontrolliert, die auch von EU und USA als Terrororganisation eingestuft wird. Die Zahlen lassen sich gegenwärtig nicht unabhängig überprüfen.
Nach längerer Pause wieder Raketenangriffe auf Israel aus Gaza
Nach längerer Pause haben militante Palästinenser im Gazastreifen den Beschuss israelischer Ortschaften wieder aufgenommen. In der Küstenstadt Aschkelon und in Orten nahe der Grenze zum Gazastreifen heulten am Donnerstag wieder die Warnsirenen, wie die israelische Armee mitteilte. Zuvor hatte es etwa 15 Stunden lang keine Angaben zu neuen Raketenangriffen aus dem Küstenstreifen am Mittelmeer gegeben.
Seit Beginn des Kriegs am 7. Oktober hatten militante Palästinenser Tausende von Raketen auf Israel abgefeuert.
Erneut Zwischenfälle auch an Israels Nordgrenze
Derweil hat das israelische Militär erneut Stellungen der pro-iranischen Hisbollah im Libanon angegriffen. Das gab die israelische Armee in der Nacht bekannt. Zuvor hatte sie bereits mitgeteilt, «Terroristen» hätten eine Panzerabwehrrakete auf eine israelische Gegend nahe der Grenze zum Libanon abgefeuert. Das israelische Militär habe mit Artilleriebeschuss reagiert.
Seit den Terrorattacken der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel und Israels Gegenschlägen auf Gaza kam es in den vergangenen Tagen regelmäßig zu Zwischenfällen an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon, die Sorgen vor einer Eskalation schüren. Auch im Westjordanland kam es erneut zu Zwischenfällen. Palästinensischen Angaben zufolge wurde ein 21-Jähriger von Siedlern und zwei Jugendliche bei Konfrontationen mit israelischen Soldaten erschossen. Die Situation drohe «außer Kontrolle» zu geraten, warnte Griffiths.